Kapitel 5:
Die Monate und Jahre vergingen. Die Tage nahmen ihren üblichen Lauf. Und ich saß immer noch in meiner Zelle. Mit Nora, mit der ich mich inzwischen richtig gut angefreundet hatte. So wurde das Gefängnisleben für mich erträglicher. Ich konnte ihr alles erzählen. Wir lachten zusammen und weinten zusammen. Endlich hatte ich einen guten Menschen kennengelernt. Doch ein Teil von mir fühlte sich trotzdem noch alleine. Es war meine Familie. Kein einziges Mal war einer von ihnen zu mir gekommen oder hatte mir einen Brief geschrieben. Nun hatte ich sie fünf Jahre lang, in denen ich im Gefängnis für schwer erziehbare Jugendliche war nicht mehr gesehen. Auch heute kam niemand. Denn heute war mein Geburtstag. Ich wurde einundzwanzig. „Happy Birthday!“, hörte ich eine Stimme rufen. Ich musste nicht einmal nachdenken, um zu wissen, dass sie Nora gehörte. Sie hatte mich nicht vergessen. Eine Freudenträne lief mir über die Wange. „Danke.“, sagte ich leise und umarmte sie. „Ich hab zwar kein Geschenk für dich, aber ich hoffe, du freust dich trotzdem.“, sagte sie etwas betreten. „Natürlich freue ich mich. Ich brauche keine Geschenke, Worte sind für mich das wichtigste.“, sagte ich. „ Danke. Eigentlich würde ich ja gerne für dich singen, aber ich glaube das wäre den anderen gegenüber unangebracht.“ „ Das ist nett von dir.“, meinte ich nur. „ Ohne dich wäre ich hier wahrscheinlich gestorben.“ „Ich auch.“, meinte Nora. „Fünf Jahre sitzen wir schon hier. Das ist echt verrückt.“ „Ja, das stimmt.“, erwiderte ich. „Weißt du, manchmal frage ich mich wirklich, wie die Welt da draußen aussieht. Ob sich etwas verändert hat.“, sagte ich nachdenklich. „ Vermisst du eigentlich deine Familie?“, fragte Nora mich auf einmal. „Warum die Frage?“, wollte ich irritiert wissen. „Weil heute dein Geburtstag ist.“, antwortete Nora. „Ein bisschen vielleicht. Aber weißt du, man muss die Menschen, die einem Böses wollen im Leben einfach stehen lassen. Wahrscheinlich haben sie eh meinen Geburtstag vergessen.“ „Oh, verstehe.“, meinte Nora und lächelte mir aufmunternd zu. „Manchmal wünschte ich, ich wäre ein anderer Mensch. Nicht die Außenseiterin, die jeder verachtet. Nicht das schwarze Schaf in meiner Familie und schon gar keine Mörderin.“, gestand ich. „ Ich glaube, das wünscht sich jeder Mensch einmal.“, sagte Nora. „ Warum denkst du denn, hat dich Charly gemobbt?“ „Weil ich es verdient habe.“, entgegnete ich trocken. „ Nein, sag so etwas nicht!“, beschwichtigte Nora. „ Genau aus dem selben Grund, den du gerade genannt hast!“ „Was denn für ein Grund?“, fragte ich genervt. „ Aus Eifersucht!“, sagte Nora. „ Aus Eifersucht?“, fragte ich. Der Sarkasmus in meiner Stimme war nicht zu überhören. „ Ja, Aus Eifersucht. Sieh doch, du bist hübsch, nett, hast viele Talente.“, erklärte Nora. „ Was hab ich denn bitteschön für ein Talent?“, zischte ich. So langsam ging mir dieses Gespräch wirklich auf die Nerven. „ Deine Art.“, sagte Nora nur. „ Du hast eine sehr bewundernswerte Art.“ „ Ich bin hässlich. Dick, klein. Das perfekte Opfer. Aber du auch. Deine Klassenkameraden sind alle hässlich, also haben sie untereinander nichts, worauf sie eifersüchtig sein können. Außer bei dir. Und aus Wut heraus mobben sie dich.“ „ Hm, da könnte was dran sein.“, murmelte ich. „ Immer gern.“, grinste Nora. „ Aber jetzt ist erstmal Schluss mit den schlechten Gedanken! Jedenfalls hast du heute Geburtstag!“ „ Da hast du wohl Recht.“, lachte ich. „ Ich glaube, wir sollten uns mal fertig machen, der Wachmann kommt bald.“, sagte ich und ging in das kleine Bad am anderen Ende des Raumes. „ Jap, das ist eins gute Idee.“, erwiderte Nora und stand ebenfalls auf. Auch sie ging ins Bad, um wie ich Zähne zu putzen. „ Was denkst du, müssen wir heute machen?“, nuschelte Nora. „ Keine Ahnung, hoffen wir mal das besten.“, lachte ich. „ Und was wäre das beste?“ wollte Nora wissen. „ Naja, auf jeden Fall nicht den Schweinestall ausmisten.“, meinte ich grinsend. „ Oje, Gott verschone uns!“, rief Nora gespielt dramatisch und wir mussten erneut lachen, bis es auf einmal klopfte. Kurz darauf wurde die Tür geöffnet und ein Wachmann kam herein. „ Morgen, bitte einmal auf den Sportplatz.“, befahl er. Wie uns gesagt, gingen Nora und ich auf die Tür zu und ließen uns Handschellen umlegen. Gespannt liefen wir auf den Gefängnissportplatz zu. Auf dem Platz standen mehrere Boxsäcke und dazugehörige Boxhandschuhe. Daneben stand unser Trainer mit den anderen Gefangenen. „Was wird das denn?“, fragte ich Nora und sah nachdenklich auf die Boxsäcke. „Wahrscheinlich lernen wir, unsere Wut weg zubekommen.“, meinte sie. „Guten Morgen, zusammen!“, rief der Trainer, dessen Name mir entfallen war dazwischen. „ Heute werdet ihr von mir die Erlaubnis kriegen, euch richtig auszutoben. Jeder wird einen Boxsack mit dazugehörigen Handschuhen zugeteilt bekommen und kann so seine Wut oder sonstiges versuchen, weck zukriegen. Sollte es aber zu Gewalttätigkeiten kommen, seit ihr sofort weck vom Platz. Versanden?“, erklärte er, ehe er mit der Zuteilung begann. Ich bekam einen Platz in der Ecke neben Nora. Mit einem seltsamen Gefühl im Magen zog ich mir Handschuhe an. Irgendwie kam es mir nicht richtig vor, meine Gefühle raus zulassen. Ich hatte Angst, ich würde mich zu sehr hineinsteigern und wieder Menschen verletzten oder gar töten. „ Was stehst du so dumm rum!“, hörte ich eine Stimme von der Seite. Darauf folgte Gelächter. Es waren andere Gefangene, die es für toll hielten, mich zu ärgern. Doch das ließ ich mir nicht gefallen. „ Habt ihr eigentlich nichts besseres zu tun, als mich auszulachen?“, fragte ich. „ Oh, seht! Sie kann ja sprechen!“, rief ein Junge, woraufhin wieder alle lachten. Der Trainer war natürlich zu blind, um das mitzukriegen. „ Lasst mich doch einfach in Ruhe!“, schrie ich. Daraufhin nahm stellte ich mich vor den Boxsack und fing an, wie wild zu boxen. Ich hatte zwar noch nie zuvor geboxt, aber es machte mir Spaß. Ich schlug und schlug und schlug. Ich hörte gar nicht mehr auf. „ Schluss für heute!“, hörte ich unseren Trainer irgendwann sagen. Also hörte auch ich auf. Zufrieden ging ich mit Nora wieder zurück in unsere Zelle. „Wow, du warst echt gut!“, sagte Nora, nachdem wir reingelassen worden waren. „ Danke.“, antwortete ich etwas überrascht. „ Warst du eigentlich mal in einem Verein oder so?“, fragte Nora weiter. „Nein, ich habe heute zum ersten Mal geboxt.“, meinte ich. „Wow, du bist ein echtes Naturtalent!“, rief Nora begeistert. Es klang so, als ob es ein Weltwunder wäre. Irgendwie brachte mich das zum Lachen. „Was ist denn so witzig?“, fragte Nora verwirrt, musste dann aber auch lachen. „Weißt du, ich habe schon lange nicht mehr viel von mir selbst gehalten.“, gestand ich. „Ich dachte immer, alle anderen wüssten es besser. Tief in mir drin wusste ich natürlich, dass es nicht so war, doch das half nicht viel. Deshalb wurde mir auch die Schule egal und ich vernachlässigte meine Hobbys.“ „Genauso geht es mir auch.“, sagte Nora. „Wirklich?“, fragte ich. „Ja, natürlich. Ich wurde ja schließlich auch gemobbt. Aber diesen Fehler dürfen wir nie wieder machen, hörst du? Nie wieder.“ „Nie wieder.“, wiederholte ich. „ Uns wird nie wieder jemand etwas sagen! Diese Zeit, in der ich hier im Gefängnis war, hat mir den richtigen Weg gezeigt.“ „Mir auch. Und wäre ich nicht hierher geschickt worden, hätte ich auch nicht so eine tolle Freundin, wie dich kennengelernt.“, sagte Nora. Ich konnte nicht anders und musste sie umarmen. „Danke, mir geht es auch so.“, sagte ich. Auf einmal klopfte es an der Tür. „ Ist das nicht entwässert zu früh fürs Mittagessen?“, frage ich Nora, welche mich ebenfalls fragend ansah. Herein kamen zwei Polizisten. „Guten Tag, wir haben eine gute Neuigkeit für euch.“, begann einer von ihnen. „Ihr habt eure Zeit hier abgesessen und könnt wieder nach Hause.“ Nachdem ich das gehört hatte, fühlte es sich so an, als ob mein Herz stehen geblieben war. So lange hatte ich auf diese Nachricht gewartet. Und heute an meinem Geburtstag war es soweit. Doch wo sollte ich hin? Meine Familie würde mich bestimmt nicht mehr wollen. Nora, die immer noch neben mir saß stand anscheinend auch unter Schock. „Danke, diese Nachricht erfreut uns natürlich sehr, aber wo sollen wir jetzt hin?“ „Sie werden erst einmal zu ihren Eltern kommen und dann sehen wir weiter.“, sagte der andere Polizist. „Okay.“, sagte ich nur, doch innerlich wollte ich am liebsten hier bleiben. Überall war es besser, als in meinem Heimatort. Zusammen mit Nora ging ich hinter den Polizisten her, die uns anschließend in den Polizeiwagen brachten. Ich wusste nicht, wie lange die Fahrt dauern würde. Ich kuschelte mich an meine beste und einzige Freundin und sah aus dem Fenster. Nach einer Weile hielten wir an. „Nora Wood, Sie können aussteigen.“, hörte ich die Stimme des Fahrers. „Tschüss, Lillith.“, sagte Nora. Tränen standen ihr in den Augen. „Kann ich vielleicht deine Nummer haben?“, fragte ich. „Tut mir leid, ich habe kein Handy.“, sagte Nora. „Los, beeil dich mal!“, rief ein Polizist. „Ich hab dich lieb. Du bist der netteste Mensch, den ich je getroffen habe.“, sagt ich. „Wir werden uns wieder sehen.“, sagte Nora nur und stieg anschließend aus dem Auto. Sie winkte mir noch einmal zu. Ich winkte zurück. Irgendetwas sagte mir, dass ich sie nicht wiedersehen würde, doch ich unterdrückte dieses Gefühl. Ich sah noch, wie sie das Tor hinter sich schloss, dann konnte ich sie nicht mehr sehen. Mir entflohen mehrere Tränen, doch ich riss mich zusammen. Jetzt würde alles anders werden.
Den Rest der Fahrt sah ich nur noch aus dem Fenster. Wie gerne wäre ich jetzt ein Vogel gewesen. Ich hätte einfach wegfliegen können. Doch stattdessen saß ich in in einem Polizeiwagen und wartete darauf, meine Familie wiederzusehen, die mich nicht mochte. Nach weiteren Stunden hielt der Wagen auf einmal an. Aus dem Fenster heraus konnte ich das Haus erkennen, indem ich einmal gewohnt hatte. Wie mein zu Hause angefühlt hatte es sich jedoch nie. Ich hatte mich immer fremd und anders gefühlt. Ein Polizist öffnete meine Tür und ich musste aussteigen. Mit Handschellen an den Armen und neben mir zwei Polizisten, lief ich auf das Haus zu. Vor der Tür konnte ich meine Mutter erkennen. Sie sah deutlich älter aus. Ihr Gesucht zierten unzählige Falten und ihre Augen schienen leer zu sein. Ich fragte mich, wo mein Vater und meine Schwester waren. Stumm setzte ich meinen Weg fort und blieb schließlich kurz vor der Haustüre neben den Polizisten stehen. „Guten Tag, Miss Shadow.“, sagte einer der beiden Polizisten. „ Lilliths Gefängniszeit wurde verkürzt, wie sie wissen verkürzt. Das heißt, sie wurde freigesprochen.“ „Freigesprochen?“, rief meine Mutter entsetzt. „Von wem?“ „ Von der Schule, auf die sie gegangen ist.“, meinte der Polizist. „Sind sie vollkommen bescheuert? Dieses Biest hat getötet!“ „Tut mir leid, aber wir können und dürfen ihnen keine weiteren Angaben nennen. Das Gericht hat es so entschieden.“ Nachdem ich das gehört hatte, war ich noch verwirrter als davor schon. Meine Schule hatte mich freigesprochen! Dabei konnte mich doch nie jemand leiden! Und schon gar nicht der Schulleiter! Wahrscheinlich würde ich den Grund dazu nie erfahren. Meine Mutter sah immer noch schockiert die Polizisten an, wandte sich schließlich doch ab. Sie besprach noch etwas mit ihnen, wobei ich jedoch nicht zuhörte. Nach einer Weile wurden mir die Handschellen abgenommen und die Polizisten gingen. Nun war ich wieder da, wo alles begonnen hatte. Vorsichtig sah ich zu meiner Mutter, die mich nur stumm beobachtete. Schließlich wandte sie sich ab und machte die Haustür auf. Ein alter Duft kam mir entgegen. Zögerlich betrat ich das Haus, indem ich vor ein paar Jahren mal gewohnt hatte und zog meine Schuhe aus. „Geh auf dein Zimmer und lass dich hier nicht mehr blicken.“, hörte ich die kalte Stimme meiner Mutter. „ Wenn du etwas zu Essen oder zu Trinken brauchst, kannst du runter kommen, aber mehr auch nicht.“ Stumm nickte ich. Ich versuchte es mir nicht anmerken zulassen, doch ihre Worte verletzten mich sehr. Ich lief die Treppen hoch in den zweiten Stock, wo sich mein Zimmer befand. Vor meiner Tür blieb ich stehen. Sollte ich wirklich reingehen? Sollte ich mich wirklich an das alles erinnern, was ich hier erlebt hatte? „Sieh an, sieh an.“ Eine Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Ich brauchte kurz, um sie einordnen zu können, doch dann erkannte ich sie wieder. Es war meine Schwester. Ich machte mir nicht einmal die Mühe, sie anzusehen. „Und, wie war es im Knast? Hast du endlich eingesehen, was du getan hast?“ „Ja, das habe ich.“, sagte ich mit dem Blick auf die Wand gerichtet. Meine Schwester lachte nur spöttisch. „Du hast eindeutig nicht daraus gelernt! Du verdienst eine schlimmere Strafe!“ „Und die wäre?“, fragte ich gelangweilt. Wieder lachte Grace. „Ich habe ja noch nie wirklich viel von dir gehalten, aber das du so dumm bist, hätte ich nun auch wieder nicht gedacht. Wo kommen denn die Menschen hin, die töten? Richtig, in die Hölle! Das heißt, du verdienst den Tot!“ Tränen schossen mir in die Augen. „ Oh, habe ich dir etwa wehgetan?“, piepste Grace überspielt. „Du kannst mich mal!“, zischte ich, ehe ich ihr meine Tür vor der Nase zuknallte. Nachdem ich sie abgeschlossen hatte, lies ich mich auf dem Boden nieder. Was war nur aus mir geworden? Ich wollte einmal Schauspielerin werden, doch das konnte ich jetzt vergessen. Ich hatte einen Menschen getötet, war im Knast, wurde gemobbt, habe keine Arbeit und keine Wohnung. Ich sah keinen Sinn mehr in meinem Leben. Doch ich hatte noch Hoffnung. Nora war der einzige Mensch, der mir noch etwas Freude am Leben schenkte und dafür lohnte es sich, zu leben. Sie war die einzige, die mir zum Geburtstag gratuliert hatte. Meine Eltern und meine Schwester hatten es nicht getan. Wahrscheinlich hatten sie meinen Geburtstag eh schon vergessen. Sicherlich würde ich nicht lange hier bleiben. Also beschloss ich, nach einer Wohnung zu suchen. Ich wusste zwar nicht, ob ich wieder frei durch die Gegend laufen durfte, doch das war mir im Moment egal. Ich schnappte mir ein Bettlacken und band es in mehreren Knoten zusammen, da ich keine Lust hatte, durch das ganze Haus zu laufen. Nachdem ich mich nach unten geseilt hatte, holte ich mein Skateboard aus dem Schuppen und fuhr in die nächste Stadt. Es regnete leicht und man konnte aus der Ferne hin und wieder ein Donnergrollen hören. Ich zog mir meine Kapuze über den Kopf und setzte meinen Weg fort, bis schließlich ich in der Stadt ankam. Mein Skateboard nahm ich unter meinen Arm und lief zu Fuß weiter. Trotz des mittlerweile schlechten Wetters, waren viele Leute da. Es war seltsam, auf einmal unter so vielen Menschen zu sein. Ich hatte das Gefühl, niemand wollte mich hier sehen. Egal, an wem ich vorbeiging, alle sahen mich finster an und nahmen ihre Kinder bei der Hand. Doch irgendwie hatten sie recht. Ich war eine Mörderin, es war nicht richtig gewesen, so zu handeln. Doch trotzdem hatte ich es getan. Irgendwie wünschte ich mir, dass ich die Zeit zurückdrehen könnte und es anders machen könnte. Das Leben hätte Charly bestimmt irgendwann das gegeben, was sie verdient hatte. Immer noch in Gedanken, lief ich plötzlich gegen etwas hartes. Als ich aufsah, stand ein Laternenpfosten direkt vor meiner Nase. Hinter mir hörte ich Gelächter. Doch dieses Mal ging ich nicht drauf ein. Ich hörte noch Worte, wie „Verliererin“, die mir hinterhergerufen wurden, doch es war mir egal. Meine Stirn tat weh, doch auch das machte mir nichts aus. Tapfer setzte ich meinen Weg fort, bis ich an einem Immobiliengeschäft vorbeikam. Durch das Schaufenster konnte ich zahlreiche Angebote von kleinen Wohnungen bis hin zu großen Villen sehen. Leider sah ich nichts, was ich mir nur annähernd hätte leisten können. Da ich keine Arbeit hatte und somit auch kein Geld verdienen konnte, blieb mir nur noch das Erbgut meiner Großeltern übrig und mein Erspartes Geld von meiner Schulzeit. Enttäuscht wandte ich mich ab und machte mich auf den Rückweg. Wie gerne hätte ich mir eine eigene Wohnung gekauft und wäre einfach abgehauen. Aber anscheinend hatte das Leben etwas anderes mit mir vor. Ich wurde aus den Gedanken gerissen, als ich ein Kreischen neben mir hörte. Erschrocken drehte ich mich um. Nicht weit von mir stand ein Mann, dessen Gesicht vermummt war. Vor ihm lagen zwei Kinder. Ich fragte mich, was da vor sich ging. Ich schloss für einen Moment meine Augen, um mich zu vergewissern, dass ich mir nichts einbildete. Als ich meine Augen wieder öffnete, war der vermummte Mann verschwunden, die beiden Kinder lagen jedoch immer noch da. Mit rasendem Herzen näherte ich mich Ihnen. Ich wusste, es bedeutete nichts gutes, aber meine Neugierde gewann. Mir stockte der Atem, als ich in die Gesichter der Kinder sah. Es waren zwei kleine Jungen. Ihre Augen blickten starr in den Himmel und ihre Gesichter waren blass. Sie lagen in einer riesigen Blutlache. Ich musste würgen. Irgendwie fühlte ich mich schuldig, obwohl ich genau wusste, dass es nicht so war. Es fühlte sich so an, als hätte ich die beiden Jungen getötet. Mein ganzer Körper zitterte und ich fing an zu weinen. Warum hätte ich Charly nur getötet? Warum hätte ich mich nicht im Griff? Und warum musste mich die Sache bis heute verfolgen? Plötzlich hörte ich Stimmen hinter mir. „Die Mörderin! Die Mörderin ist zurück!“, hörte ich eine Frau rufen. Wut flammte in mir auf. „Mörderin! Polizei!“, hörte ich immer mehr Leute rufen. „Ich war das nicht!“, schrie ich verzweifelt. „Ich habe die Kinder nicht getötet! Es war jemand anderes!“ Natürlich glaubte mir das niemand. Ich konnte die ersten Polizeisirenen hören. Sie würden mich wieder festnehmen, jedoch zu Unrecht. Ich beschloss wegzurennen. „ICH WAR ES NICHT!“, rief ich noch, ehe ich losrannte. Mein Fahrrad hätte ich total vergessen, doch ich konnte nicht mehr zurück. Immer schneller rannte ich auf den Walt zu. Ich zwängte mich durch Äste und Bäume, doch die Polizeiautos verschwanden nicht. Dieses Mal würden sie mich aber nicht kriegen. Kurzer Hand kletterte ich auf einen Baum. Ich konnte zwar nicht gut klettern, jedoch musste ich es tun, wenn ich nicht gefasst werden wollte. Mit rasendem Herzen hangelte ich mich an einer alten Linde hinauf. Ich hörte, wie die Polizeiautos immer näher kamen und plötzlich anhielten. Ich knäulte mich, so gut es ging zusammen und versuchte nicht runterzufallen. Innerlich betend wartete ich ab. Mein ganzer Körper zitterte. Ich wusste nicht, ob es von der Kälte kam oder von der schrecklichen Angst, die ich hatte. Auf einmal hörte ich Schritte. Viele Schritte. Es mussten die Polizisten sein, die aus ihren Wägen ausgestiegen waren. Unter ihnen war ein Hund, der anscheinend eine Fährte aufgenommen hatte. Meine Angst stieg immer mehr. Wenn sie mich jetzt finden würden, wäre alles vorbei. „ Komm raus! Polizei!“, schrie jemand, doch ich blieb stets in dem Baum sitzen. „KOMM RAUS!“, schrie ein weiterer Polizist. Ich kniff meine Augen zu und hoffte so stark, dass sie einfach umkehren würden. Meine Hoffnung wurde jedoch zunichte gemacht, als sie ihre Pistolen rausholten. Wollten sie mich etw umbringen? Panisch kauerte ich mich noch mehr zusammen. Mein Kopf bebte und mein Herz drohte aus der Brust zuspringen. „ Entweder du kommst jetzt raus, oder wir schießen!“, rief ein Polizist. Tränen schossen mir in die Augen. Ich hatte Todesangst. Gerade wollte ich es mir anders überlegen, als ein anderer Polizist sagte: „Lassen wir es gut sein, wir werden sie so schnell nicht mehr finden.“ Murrend willigte der Polizist ein und packte seine Pistole weck. Ich lauschte den immer leiser werdenden Schritten, bis sie schließlich gar nicht mehr zuhören waren. Ein riesiger Stein fiel mir vom Herzen. Freudentränen liefen mir über die Wangen. Ich hatte überlebt. Nie hatte ich an Wunder geglaubt, doch dieses Ereignis grenzte wirklich an eines. Erschöpft lehnte ich mich gegen den Baumstamm und glitt in einen tiefen Schlaf.
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