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𝐈𝐭'𝐬 𝐧𝐨𝐭 𝐚 𝐏𝐡𝐚𝐬𝐞 (girl×enby)

"Charlie... Ich- ich wollte nicht sagen, dass etwas nicht mit dir stimmt. Ich meine ja nur, vielleicht bist du gerade in einer Phase, wo du dir nicht ganz sicher mit dir bist. Das hat doch jeder mit 14 oder 15 Jahren."
Das sagt meine Mutter, ohne überhaupt zu wissen, welches Geschlecht und welche Sexualität ich habe. Und wenn sie damit schon genug Stoff hat, wie soll ich ihr erst beibringen, dass ich in einer festen Beziehung bin - mit einem Mädchen?
Obwohl ich stark bleiben wollte, halte ich es einfach nicht mehr aus. Ich muss hier weg. Ohne Plan wohin, laufe ich los. Während ich durch den Regen davonrenne, kann ich langsam wieder klare Gedanken fassen. Ich ziehe mein Handy aus der Tasche und rufe die einzige Person an, der ich in diesem Moment vertraue. Die Person, bei der ich mich so geborgen und sicher fühle, wie sonst nirgends.

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Charlie ist 14 Jahre alt und verliebt sich ausgerechnet in eine ehemalige Freundin. In der Geschichte geht es um Liebe, Erfahrungen von queeren Personen im Alltag und verschiedene Reaktionen des Umfelds.
Ich hoffe, ich kann hiermit der einen oder anderen Person Unterhaltung oder Ermutigung bieten.
Viel Spaß beim Lesen!
(Die Geschichte spielt übrigens Anfang 2019, demnach also noch vor Corona)

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    Ich kann mich kaum auf den Unterricht konzentrieren, ständig schweifen meine Gedanken ab. Mein Blick gleitet zum Fenster, wodurch ich sehe, wie ein Stockwerk tiefer die Schüler unserer Parallelklasse schon nach Hause gehen. Die meisten nehmen den Ausgang am Haupttor, doch Freya geht aus dem Hinterausgang. Wir beide waren in der 5. bis 6. Klasse sehr gut befreundet, haben jedoch leider seit längerer Zeit nicht mehr viel miteinander zu tun gehabt, außer im Sportunterricht. Ich sehe noch, wie sie ihr Fahrradschloss aufschließt und losfährt. Unwillkürlich muss ich lächeln.
    Sie ist so schön. Jedes Mal, wenn ich sie in letzter Zeit sehe, habe ich dieses angenehme, warme Gefühl. Wie... Schmetterlinge im Bauch. Ja, das trifft es eigentlich ganz gut.
    "Charlie, weißt zu vielleicht die Antwort?", reißt meine Mathelehrerin mich aus meinen Gedanken. Ich habe keine Ahnung was die Frage war, von daher sage ich: "Entschuldigung, aber könnten Sie bitte noch einmal kurz erklären wie genau man das rechnet?"

    Eine peinliche Erklärung über die Flächenberechnung von Kreisen und viele langweilige Aufgaben später ist die Schulstunde vorbei und wir haben endlich auch Schluss.
    Meine Wohnung ist glücklicherweise nicht sehr weit entfernt, daher fahre ich immer mit meinem Skateboard hin und zurück. Ich bin gerne in Bewegung, deutlich lieber als nur herumzusitzen.

    Zuhause angekommen schnappe ich mir frische Klamotten und gehe ich erstmal ins Bad um zu duschen, wofür die Zeit heute Morgen nicht gereicht hat. Ich habe zwar nicht wirklich Lust, aber was soll's.
    Als ich wieder aus der Dusche komme, sehe ich mich in dem großen Wandspiegel vor mir. Meistens mag ich meinen Körper, bin zufrieden oder liebe ihn sogar. Aber manchmal hasse ich mich auch, so wie jetzt.
    Ich sehe mich vor mir, aber es ist nicht richtig. Das bin nicht ich..
    Schnell greife ich mein Handtuch und wende mich vom Spiegel ab. Ich bin wütend, dass mein Körper so aussieht, aber viel schlimmer ist das Gefühl, nicht den richtigen Körper zu haben, was ich viel zu häufig habe. Ich habe sogar schon im Internet recherchiert, was mit mir falsch sein könnte.
    Man sollte sich nicht selbst diagnostizieren, das weiß ich. Außerdem passt eh nichts. Ich bin kein trans Junge und schon gar nicht habe ich eine psychische Störung.

    Trotzdem ist es nicht normal, oder? Also schmeiße ich mich wenig später auf mein Bett und greife mir mein Handy. Ich gebe, wie so oft, "manchmal im falschen Körper" ein, weil ich keine bessere Beschreibung für mein Empfinden habe. Wie immer werden mir zahllose Artikel über Transsexualität empfohlen. Ich bin aber kein Junge, alles, nur kein Junge!
    "Geschlechter" suche ich jetzt, vielleicht finde ich ja ein besseres Wort als manchmal-weiblich. Erstaunlich weit oben finde ich eine Seite, die erklärt, dass es viel mehr Geschlechter gibt, als ich dachte. Die Erklärungen sind sehr kurz, ich finde die Begriffe Demigirl, bigender und genderfluid, die zwar alle irgendwie gut passen, aber auch nicht perfekt.
    Ich bin nicht immer zum Teil weiblich, sondern auch mal ganz und mal gar nicht. Also kein Demigirl?
    Ich bin nicht mal weiblich und dann männlich. Also nicht genderfluid?
    Ich habe nicht zwei Geschlechter, egal ob gleichzeitig oder abwechselnd. Also auch nicht bigender?
    Ich bin weiblich und dann wieder nicht, aber nicht irgendwas anderes. Und dafür finde ich kein Wort. Bilde ich mir das nur ein? Ist es eine Phase? Bin ich etwas was es nicht gibt und schon gar nicht geben sollte? Oder bin ich nur zu blöd, um das Wort zu finden? Oder erkenne ich mein eigenes Geschlecht einfach nicht? Ich vergraben mein Gesicht in meinem Kopfkissen und fange an, mir die Seele aus dem Leib zu weinen.
    Warum muss ich so sein, warum nicht einfach normal? Ich habe mich gerade damit abgefunden, dass ich auf Mädchen stehe und jetzt das...

    Sobald ich mich wieder halbwegs beruhigt habe, suche ich nach Foren und melde mich gleich in dreien an, ich brauche einfach schnell jemanden zum Reden. Von einem bekomme ich sogar sofort eine Bestätigungsmail, um meinen Account einzurichten. Ich beschreibe so gut wie möglich, was ich fühle und gebe mein Alter an, wer weiß ob das irgendwie von Bedeutung ist. Dann schicke ich meine Frage ab.
    Ich bekomme viele Antworten: Die meisten schlagen mir die Begriffe vor, die ich schon selber gefunden habe, ein paar sagen, sie hätten das gleiche Problem und in einer steht, dass ich mit meinen 14 Jahren noch viel zu jung sei und abwarten solle, bis ich älter werde. Ich bin nah dran, mein Handy frustriert wegzulegen, als eine neue Antwort erscheint:

    "Du hast geschrieben, dass du dich manchmal weiblich und manchmal weniger weiblich fühlst, aber nicht wie ein anders Geschlecht. Vielleicht passen die Label genderflux oder girlflux? Das bedeutet im Grunde, dass sich die Intensität deines Geschlechts, bei dir weiblich, zwischen 0% und 100% verändert.
    Also bist du zB. in einer Woche ganz weiblich und dann wieder gar nicht. Oder nur zur Hälfte, oder mehr oder weniger. Vielleicht ändert sich dein Empfinden auch erst nach Monaten oder aber täglich. Übrigens denke ich, du könntest Dysphorie haben. Das ist im Grunde einfach nur, dass du dich unwohl fühlst, weil du körperlich und/oder sozial nicht nicht in die dir zugeteilte Geschlechtwrrolle passt. Also zB. dass dein Körper dür dich falsch ist, wie beschrieben.
    "

    Der Begriff genderflux klingt irgendwie richtig und die Beschreibung passt auch. Mit zitternden Händen bedanke ich mich in einem Kommentar unter der Antwort. Ja, es tut gut das zu hören, trotzdem fühle ich mich so unwohl, dass ich den Tränen nah bin.
    Dann greife ich mein Tagebuch, in dem ich ehrlich gesagt mehr kurze Gedichte als richtige Tagebucheinträge schreibe.
    Aber jetzt schreibe ich meine Gefühle gerade heraus auf.

    Liebes Tagebuch,
    ich bin mir schon seit gut zwei Jahren sicher, dass ich nicht (nur?) auf Jungen stehe, sondern mindestens auch auf Mädchen. Ich konnte noch nie mit jemandem darüber reden, ich hatte zu große Angst vor den Reaktionen. Außerdem hatte ich eigentlich nur eine Person, der ich mich hätte anvertrauen können. Eine gute Freundin, mit der ich aber keinen Kontakt mehr habe. Sie meinte mal, sie wäre bisexuell. Aber als ich sie vor einem Jahr gefragt habe, ob das noch aktuell wäre, meinte sie nein...
    Meine Mutter kommt auch nicht infrage, sie wird es nicht verstehen. Und Freya geht auch nicht. Ich meine, ich habe mich in sie verliebt! Außerdem haben wir kaum noch Kontakt.
    Und zu dem Ganzen kommt jetzt das: Ich war noch nie komplett weiblich, glaube ich. Seit ein paar Jahren, also seit mein Körper sich ändert, wird es immer schlimmer. Manchmal fühle ich mich wohl und dann ist es wieder komplett falsch. Ich dachte immer, jeder hätte das... Ich glaube, ich bin genderflux und wechsle zwischen weiblich und agender. Nur wie soll ich damit umgehen? Wäre ich transgender könnte ich wenigstens etwas tun, Hormone nehmen und in ein paar Jahren dann eine OP machen, aber so... Manchmal mag ich meinen Körper ja. Ich bräuchte irgendetwas, um temporär etwas weniger weiblich auszusehen. Und eine Vertrauensperson.
    Außerdem mag ich das Pronomen "sie" nicht, aber ich habe keine bessere Alternative...
    Was soll ich tun?






    Bild: Ich (mit meinen tollen digitalen Künsten - Spaß, ich zeichne eigentlich nur analog, wollte das Cover aber etwas professioneller aussehen lassen) XD

    2
    Gestern Abend bin ich gut eingeschlafen, dafür habe ich in der Nacht nicht wirklich Ruhe gefunden. In meinen vielen Träumen haben mich die Themen von gestern verfolgt: In meiner Klasse wurde ich für meine sexuelle Identität ausgeschlossen und gemobbt. Ich weiß, dass es nicht echt war, aber es hat sich alles so realistisch angefühlt. Ich weiß wie es ist, gemobbt zu werden. Als mein Vater in meiner Grundschulzeit einfach abgehauen ist, haben sich die meisten über mich lustig gemacht und niemand wollte mehr etwas mit mir zutun haben. Seit ich auf die weiterführende Schule gehe, bin ich deutlich beliebter, habe aber trotzdem eine ständige Angst, meinen Status wieder zu verlieren.
    Mein Wecker klingelt zum zweiten Mal und zwingt mich, endlich aufzustehen. Ich stelle mir immer zwei Wecker mit fünf Minuten Abstand, weil ich nach dem ersten meistens wieder einschlafe.
    Was soll's, sage ich mir. Wenn ich jetzt nicht aufstehe, finde ich wieder keine Zeit zum Duschen.
    Doch mein Morgen verläuft reibungslos und als ich fertig bin, habe ich sogar noch etwas Zeit über, in der ich mir eine Strähne meiner Haare flechte, den Rest lasse ich offen. Dann greife ich meinen Rucksack und mein Skateboard und mache mich auf den Weg.

    Ich bin extrem erleichtert, als es zur zweiten großen Pause klingelt. Wir hatten gerade eine Stunde Geschichte und ich kann mir die ganzen Daten und Zusammenhänge einfach nicht merken. Ich verstehe nicht, warum wir Geschichte am Mittwoch und Freitag je eine Stunde haben, anstatt einer einzigen Doppelstunde. So bekommen wir doppelt so viele Hausaufgaben...
    Auf dem Schulhof angekommen geselle ich mich zu ein paar Klassenkameraden. Ich mag nicht Freunde sagen, weil sie zwar nett sind, aber mehr auch nicht.
    Einige Meter entfernt sitzt Freya auf einer Bank und liest in irgendeinem Buch. Sie ist wirklich nett und hübsch noch dazu, ich verstehe nicht, warum sie nicht beliebter ist. Vielleicht sollte ich den ersten Schritt machen und mal wieder was mit ihr unternehmen?
    Vorerst konzentriere ich mich mehr auf das Gespräch, aber hin und wieder werfe ich ihr einen Blick zu. Sie ist einfach zu perfekt.
    "Hey Charlie, hörst du eigentlich zu?", fragt mich Julia lachend. "Ja klar, ich habe nur gerade etwas nachgedacht", erwidere ich und lächle, in der Hoffnung, dass es nicht zu gezwungen wirkt.
    Julia greift das Gespräch wieder auf: "Also, mögt ihr so Superheldenfilme?"
    "Ich bin ein Marvelfan, also ja. Und du?", frage ich zurück. Wie sind sie überhaupt auf das Thema gekommen, normalerweise interessiert sich doch niemand außer mir dafür?
    "Naja, meistens gucke ich die Filme nur, wenn ein hotter Schauspieler dabei ist."
    "Fühl ich. Habt ihr auch so oft Celebrity-Crushes?", schaltet sich Sophie in das Gespräch ein. Ich überlege und ja, ich hatte das schon mehrfach. Aber eigentlich waren alle berühmten männlichen Personen die ich toll fand mehr wie Idole. Oder ich habe mir einfach vorgestellt, ich wäre mit einer Filmfigur befreundet. Tiefere Verbindungen oder Fantasien hatte ich tatsächlich nur mit Frauen oder eben weiblichen Jugendlichen. Weil ich mich aber definitiv auch schon ein oder vielleicht sogar zweimal, ich bin mir nicht so sicher wie stark meine Gefühle wirklich waren, in Jungen verliebt war und definitiv nichts gegen nicht-binäre Personen hätte, kann ich mich in meiner Sexualität nicht festlegen. Bi, homo, pan, polysexuell oder noch was anderes, es könnte fast alles sein. Irgendwie passen die Label aber auch alle nicht...
    Gerade als Julia den Mund wieder öffnet, läutet die Schulglocke - das heißt, eigentlich wird das Läuten nur über Lautsprecher abgespielt, denn unsere Schule hat keine Glocke.

    Endlich ist der Unterricht vorbei und ich bin wieder Zuhause.
    Aufgeregt scrolle ich meine Kontakte durch, bis ich Freya finde. Soll ich ihr wirklich schreiben? Andererseits, wieso nicht?
    "Hey, ich bin's, Charlie. Ich habe diese Woche noch nichts vor und wollte fragen ob wir vielleicht mal nach der Schule in ein Café gehen wollen?"
    Mein Herz klopft wie wild und ich bin kurz davor die Nachricht zu löschen, doch stattdessen drücke ich auf senden. Warum sollte ich ihr denn nicht schreiben? Was ist auf einmal mit meinem Selbstbewusstsein passiert?
    Ich starre gebannt auf den Bildschirm. schreibt steht nun anstelle von zuletzt online um: da. Dann erscheint Freyas Antwort:

    Ehrlich?

    Klar, hättest du Lust?

    Ja! Morgen direkt nach Schulschluss?

    Cool dass wir mal wieder was machen👍🏻Dann bis morgen?

    Bis dann 😙

    Bye 😚

    3
    Zum Glück haben wir beide diesen Donnerstag nur 4 Schulstunden, weil am Nachmittag irgendeine Lehrerkonfernez ist oder so. Trotzdem schaue ich alle paar Minuten zur Uhr an der Wand.
    Endlich ist es 11:20 und wir dürfen gehen. Meiner Mutter habe ich einfach die Wahrheit gesagt, nämlich dass ich mich mal wieder mit Freya treffe.
    Wie besprochen treffen wir uns an dem Haupttor, auf der anderen Seite ist direkt mein Lieblingscafé. Als Freya aus dem Gebäude kommt, schlägt mein Herz sofort etwas schneller.
    "Hi Freya! Wie geht's?", begrüße ich sie leicht nervös.
    "Gut, und dir?"
    Lächelnd sage ich: "Mir auch. Wollen wir?"
    Zum Glück müssen wir nicht lange auf die Ampel warten und können direkt die Straße überqueren. Das Café ist um diese Uhrzeit relativ leer, der größte Andrang ist schon vorbei. Erst zur Mittagspause kommen oft die Schüler aus den höheren Klassen und einige Lehrer hier her. Eben alle, die das Essen der Mensa nicht mögen und den Schulhof verlassen dürfen.

    "Was hätten Sie gerne?", fragt uns die Kellnerin. "Einen Eiskaffee bitte", antworte ich. "Für mich das gleiche", sagt Freya. Die Kellnerin nickt und notiert sich etwas.
    "Warum genau hast du mich eigentlich gefragt, ob wir uns treffen können?", fragt Freya mich, als wir wieder alleine am Tisch sitzen. Ich hole einmal tief Luft und gehe schnell durch, wie ich möglichst nicht komisch wirke.
    "Naja, wir haben echt lange nichts mehr zusammen gemacht. Und im Moment habe ich relativ viel Zeit, also dachte ich, könnte ich mich mal wieder verabreden. Außerdem bin ich in meiner Klasse zwar nicht unbeliebt, aber so richtige, echte Freunde, so wie wir früher, habe ich nicht."
    Ich schaue ihr in die Augen und warte auf ihre Reaktion. Freya ist echt wunderschön, das muss jeder zugeben. In meinem Bauch kribbelt es und ich spüre ein seltsames Glücksgefühl, so wie auch gestern, als ich sie gesehen habe. Ich habe mich wohl wirklich verliebt. Und es trifft natürlich immer die ungünstigsten Leute.
    "Also... Ich würde eigentlich auch ganz gerne wieder mehr Kontakt zu dir haben. Meine Klasse ist nicht so dolle", sagt Freya mit einem schiefen Lächeln im Gesicht.
    "Ihre Kaffees", sagt die Kellnerin und stellt unsere Gläser auf die Tischplatte. Ich liebe den Eiskaffee hier und Freya anscheindend auch. Tatsächlich kommen viele Leute nur für den Kaffee hier her.
    Während wir trinken gleitet mein Blick wieder zu Freya und obwohl ich es nicht möchte, finde ich mich wieder, wie ich auf ihre Brüste schaue. Weil wir uns gegenüber sitzen, ist es zum Glück nicht allzu auffällig, aber peinlich trotzdem. Ich versuche, nicht zu auffällig weg zu gucken, sondern lieber Augenkontakt herzustellen.
    Ich weiß schon länger, dass ich nicht heterosexuell bin. Viele Leute sagen ja, dass sie ein Gaydar haben, von sowas kann ich aber nur träumen. Immerhin merke ich manchmal, wenn jemand definitiv nichts von mir will.
    Ich setze das Glas wieder ab und lege meine Hand mit dem Rücken nach oben auf die Tischplatte. Freya setzt ihr Glas ebenfalls ab und schaut mir für den Bruchteil einer Sekunde in die Augen.
    "Ich fände es echt toll, wenn wir wieder so gute Freunde wie in der 5. werden könnten", breche ich das Schweigen und unterdrücke dabei das Zittern in meiner Stimme. "Ich mochte dich wirklich sehr als beste Freundin."
    "Ich auch. Wir haben echt viel zusammen erlebt."
    "Ja", sage ich. "Und wir haben über allen möglichen Mist geredet." Ich muss leicht lachen, als ich an unsere gemeinsamen Erinnerungen denke. Inzwischen haben wir uns ziemlich geändert, wie es nun mal so passiert.
    "Weißt du noch?", du hast immer nur Musik aus den 70ern gehört", sage ich immer noch lächelnd.
    "Ich bin inzwischen deutlich offener für verschiedene Musik, als früher!", sagt Freya.
    "Ja, ich höre auch alles mögliche. Sogar ziemlich viel Metal inzwischen", meine ich. Vor zwei Jahren hatte ich noch exakt zwei Bands, deren Musik ich mochte. "Kennst du eigentlich girl in red?", frage ich, vielleicht, ganz vielleicht, sagt sie ja Ja.

    Zuhause angekommen kann ich nicht aufhören, an Freya zu denken. Ich weiß genau, worauf das hinausläuft. Inzwischen kenne ich mich gut damit aus, wie starken Liebeskummer ich bekomme, auch bei noch so kleinen Schwärmerein. Meinen ersten Crush hatte ich in der ersten oder zweiten Klasse und sogar da habe ich monatelang hinterher getrauert.
    Wenn ich meine Gefühle in mich hineinfresse, und ignoriere oder verdränge, wird es nur schlimmer, also bleibt eigentlich nur die Möglichkeit, es wenigstens zu versuchen. Erstmal sollte ich rausfinden, ob Freya straight ist. Bei meinem Glück ist sie das bestimmt, sonst fresse ich einen Besen. Ich kann sie ja nachher oder morgen einfach anschreiben.

    4
    Am nächsten Tag habe ich ganze sieben langweilige Stunden und bis zum Abendessen um 18:30 Uhr kaum eine freie Minute - abgesehen von den Schulpausen natürlich, die jedoch nicht wirklich etwas bringen. Zuhause gibt es schlichte Nudeln mit Brokkoli und Reibekäse, was an sich sogar ganz gut schmeckt, nur esse ich es gefühlt jeden Tag, an dem es keine Tiefkühlpizza gibt.
    Schweigend nehme ich mir eine zweite Portion. Die Uhr tickt leise und das Besteck meiner Mutter klirrt, als sie es auf ihrem Teller ablegt. Ich spüre mein Handy in der Hosentasche summen, die Nachricht werde ich mir gleich in Ruhe anschauen. Ansonsten ist es still.

    Hey, wie geht's dir so? 😊

    Ganz gut, und dir?

    Mir geht es auch gut. Ich dachte nur, ich schreib dir einfach mal, so aus Langeweile.

    Ach so, alles gut.
    Hast du eigentlich mitbekommen, dass an unserer Schule vielleicht eine Regenbogenflagge aufgehängt werden soll?


    Ja, hat unser Klassenlehrer erzählt. Ich finde das voll cool:) Du?

    Ich finde es auch total gut, ich meine, es ist ja ein großes Zeichen für Toleranz und so. Ich supporte LGBTQ+ ja auch

    Ich bin da auch ziemlich offen. Ich kenne sogar jemandem aus dem Bereich.

    Oh cool, ich auch

    Um ehrlich zu sein, ich gehöre selber auch dazu.

    Ich kann mich in alle Geschlechter verlieben. 😅

    Oh, bist du pansexuell?

    Sowas in der Art, ja. Omnisexuell passt besser, aber den Begriff kennt so gut wie niemand. Die Sache ist die, dass pansexuelle Menschen sich in Personen verlieben und meistens sozusagen geschlechterblind sind, während Omnisexuelle Präferenzen zwischen den einzelnen Geschlechtern haben. (Tut mir leid falls ich nerve, ich habe keine Ahnung warum ich dich mit sowas zutexte)

    Nein, alles gut! Ich beschäftige mich in letzter Zeit eh mehr mit dem Thema Sexualität und Geschlecht, nur im Internet bekommt man meistens keine so guten Erklärungen. 😘 Und wenn doch, dann findet man irgendeine Seite, die etwas anders behauptet

    Danke 💕

    Ich muss dir was sagen, ok?

    Schieß los

    Wirkt vielleicht seltsam...
    Die Sache ist die, dass ich nie wirklich jemanden zum Reden hatte. Ich meine, eine Mutter kümmert sich alleine um mich (wie du weißt) und ich habe zu große Angst vor ihrer Reaktion. Ich glaube, dass ich lesbisch oder bi bin.


    Du kannst immer zu mir kommen, wenn du jemanden zum Reden brauchst 😘🏳️‍🌈

    Danke ❤ 🥺
    Ich finde es soo cool, dass wir immer noch so offen miteinander reden können.💓


    💞

    💕

    Ahh shit, hab gerade gemerkt, dass ich die Hausaufgaben in Geschichte voll vergessen habe 😣

    Oh, wir können auch einfach morgen noch einmal schreiben

    Wenn ich irgendwie helfen kann, sag Bescheid.

    Danke, aber ich muss zum Glück nur was aus einem Text raussuchen. Wir schreiben aber wahrscheinlich bald eine Arbeit, da könnte ich etwas Hilfe beim Lernen gebrauchen:')

    Klar. Vielleicht kannst du mir bei Deutsch irgendwann helfen? Ich komme mit diesen Gedichtsinterpretationen gar nicht klar 😅

    Okay, wir können uns gerne bald mal für die Schule treffen. Ach, und hättestes du morgen vielleicht Lust in die Eislaufhalle hier zu gehen oder so? Wollte da nämlich sowieso mal wieder hin.

    Ich wusste gar nicht, dass du Eislaufen magst, cool.

    Ich liebe es! ^^

    Ich auch 😍😄



    Treffen wir uns früh? Dann ist weniger Gedränge und das Eis ist noch nicht so kaputt.

    Ja, gerne

    Bis morgen dann =)

    Bis morgen:)

    Oha. Ich habe mit allem gerechnet, nur nicht damit. Ich habe mich geoutet und Freya ist nicht straight. Ich brauche einen Besen, und zwar schnell. Okay, vielleicht eher ein Beruhigungsmittel.
    Auf alle Fälle bin ich aber so erleichtert wie noch nie. Ich meine, ich muss mich endlich mal nicht verstecken und Glück habe ich auch noch! Ich spüre eine so große Welle von Befreiung die mich innerlich überrollt, dass mir schon beinahe Freudentränen in die Augen steigen.
    Einen Moment später kommen aber auch die Zweifel: Wenn Freya einfach hetero wäre, könnte ich mir keine falschen Hoffnungen machen. So kommt aber jede Person infrage, ich weiß ja nicht auf was, beziehungsweise wen Freya steht. Wahrscheinlich mag sie mich doch nur freundschaftlich, vielleicht hat sie sogar einen Freund...

    5
    Freya und ich treffen uns schon um 8 Uhr morgens, direkt zur Öffnung der Eislaufhalle. So früh hat man manchmal alles für sich alleine. Leicht nervös schaue ich ihr kurz in die Augen und gucke dann wieder weg. Weil ich nicht weiß was ich machen soll, streiche ich mir die Haare hinters Ohr und frage dann: "Also... Wollen wir?"
    "Ja. Klar", sagt Freya. Sie streicht sich auch die Haare zurecht und dann gehen wir zusammen durch den Eingang.

    Auf der Fläche selbst vergesse alles um mich herum. Wenn ich über das Eis gleite, fühle ich mich so frei, als würde ich fliegen.
    Zuerst drehen wir ein paar Runden um warm zu werden, dann laufen wir zusammen durch die Halle und drehen Pirouetten.
    Es macht unglaublich großen Spaß, tausend Mal besser als alleine zu laufen. Obwohl ich auch das schon liebe. Ich habe wieder dieses Kribbeln im Bauch, aber viel stärker als jemals sonst. Ich bin so glücklich, dass ich einfach loslachen könnte, wenn ich wollte. Ich beschleunige stärker und muss unwillkürlich grinsen, als Freya nach meiner Hand greift.
    "Sorry, mir ist nur etwas schwindelig...", sagt sie verlegen.
    "Keine Sorge, ich pass schon auf dich auf!", sage ich lachend und spüre, wie mir das Blut ins Gesicht schießt. Wir bremsen ab, sodass wir direkt nebeneinander stehen. Freya wird auch rot, dreht den Kopf leicht weg und zieht ihre Hand zurück.
    Als sie wieder aufblickt treffen sich unsere Blicke und ich sehe direkt in ihre grünen Augen. Sie sind so wunderschön...
    Ich fühle mich, als würde es nur noch uns beide auf der Welt geben. Innerlich explodiere ich beinahe vor Glück. Fast automatisch falle ich Freya in die Arme und halte sie fest umschlungen. Nie wieder will ich sie loslassen.
    Ok, vielleicht wenn ich mal auf die Toilette muss. Aber sonst nicht.
    Ich spüre ihren warmen Atem in meinem Nacken. Wenn nicht jetzt, wann dann? Es ist zu perfekt um wahr zu sein...
    "Es gibt da etwas, was ich dir sagen muss", flüstere ich. "Ich liebe dich."
    "M-meinst du das ernst?", fragt Freya in einem Tonfall, den ich nicht einordnen kann. Ich habe keine Ahnung, ob sie einfach nur überrascht ist, oder selber in jemand anderen verliebt ist und jetzt schockiert ist.
    Was, wenn ich gerade unsere Freundschaft zerstört habe? Die Eishalle verschwimmt vor meinen Augen. Ich bin plötzlich nicht mehr glücklich, sondern so verletzt, als wäre mein Herz zersplittert. Wie die Tiefgefrorenen Rosen bei diesem Experiment mit flüssigem Stickstoff. Ich kann den Schmerz nicht beschreiben, es ist gleichzeitig als würde mein Herz zerbrechen und als würde es zerquetscht werden.
    Freya lässt mich los und drückt mich etwas von sich weg. Und ich dachte, sie würde vielleicht das gleiche für mich empfinden wie ich für sie! Wie konnte ich nur so dumm sein? Ich kann meine Tränen kaum noch halten und spüre, wie die erste schon über meine Wange läuft. Ich kann Freyas Gesicht nicht erkennen, aber sie kann mich nicht lieben, immerhin hat sie mich weggestoßen! Meine Unterlippe fängt an zu flattern und nur mit Mühe schluchze ich nicht auf. Es war so klar, dass das passieren würde.
    Ich will mich gerade umdrehen und einfach nur wegrennen, als etwas gänzlich unerwartetes passiert.

    Freya zieht mich wieder zu sich heran, aber diesmal nicht in einer Umarmung sondern zu einem Kuss. Sie hat ihre Hände an meinen Hinterkopf gelegt und drückt ihre Lippen sanft auf meine. Ich bin im ersten Moment verwirrt, dennoch erwidere ich den Kuss. Es ist mir egal, was die anderen hier denken, ich liebe Freya und das ist unsere Sache. Ich schlinge meine Arme wieder um sie und schließe meine Augen. Mein Herz schlägt so wild wie noch nie und die Schmetterlinge in meinem Bauch sind mehr wie ein Freuerwerk. Es ist bis jetzt bestimmt der beste Moment meines Lebens.

    Als wir uns wieder voneinander lösen, fühle ich mich emotional erschöpft, aber auf eine schöne Art. Trotzdem habe ich noch so viele Fragen.
    "Ich- ich liebe dich auch", sagt Freya vorsichtig. Ich muss kichern und sie stimmt ein. Dann werde ich wieder ernst. "Warum hast du mich eben kurz weggestoßen? Ich dachte für einen Moment, dich hätte alles kaputt gemacht und du würdest mich hassen..."
    "Nein!", sagt Freya mit einem verzweifelten Unterton. "Ich war mir nicht sicher, ob du es ernst meinst, ich wollte dein Gesicht sehen. Und dazu musste ich mich aus deiner Umarmung lösen. Tut mir leid. Ich wollte dich nie verletzen oder so!"
    Diesmal ist es Freya, die mir in die Arme fällt und mich fest hält.
    Meine Gefühle brennen komplett mit mir durch und ich weiß plötzlich nicht mehr, ob ich glücklich bin oder nicht. Es ist fast schon wie meine Stimmungsschwankungen während der Periode.
    Wir stehen noch mindestens eine Minute da und halten uns in den Armen, nachdem wir uns schon größtenteils beruhigt haben. Ich genieße das Gefühl von Geborgenheit und Liebe. Die Luft um uns herum ist kalt, aber Freya ist so schön warm. In Hintergrund läuft Musik und man hört vereinzelte entfernte Gespräche, aber Freya ist so schön ruhig und friedlich. Und so verständnisvoll, so nett, so wunderhübsch. Sie ist einfach liebenswert.
    Schließlich bricht sie das Schweigen: "Wollen wir vielleicht noch ein paar Runden drehen?"
    "Gerne", sage ich und löse mich sanft.

    Hand in Hand laufen wir über das glatte Eis. Es fühlt sich immer noch alles so unwirklich an, als würde ich es nur träumen. Ich bin so glücklich, dass mich wirklich wie im 7. Himmel fühle. Es ist, als würde mich ein Schleier aus Freude umgeben, der alles um uns beide herum abdämpft. "Ich hätte nie gedacht, dass ich so bald jemanden finden würde, der meine Liebe erwidert. Und dann auch noch dich, du bist so perfekt", sage ich leise zu ihr, während wir uns gerade in die Kurve legen.

    Als ich um 14 Uhr wieder Zuhause ankomme, gehe ich direkt in mein Zimmer und greife mein Tagebuch. Ich kann noch immer nicht fassen, was da vor ein paar Stunden passiert ist. Am liebsten würde ich zeichnen, um meine Gefühle herauszulassen, aber das geht nicht. Ich habe schon echt oft versucht und hatte meistens ein klares Bild vor Augen, aber letzten Endes bin ich von meinen Kritzelein dann doch nur enttäuscht. Zum Glück gibt es Wörter, damit kann ich mich leichter ausdrücken. Ich fange damit an, schlichtweg zu beschreiben, was ich empfunden habe. Meine Aufregung, dann wie verletzt ich war und zum Schluss die unendliche Freude und Liebe. Ich schreibe, wie alles um uns beide herum verblasst ist und plötzlich alle Sorgen der Welt unwichtig schienen. Freya gibt mir ein nie da gewesenes Gefühl von Schutz. Bei ihr fühle ich mich sicher. Und ich weiß, dass sie immer für mich da ist, genau wie ich für sie.

    6
    Als ich am Montag aufstehe, merke ich direkt, dass ich wieder agender bin. Ich ziehe mir einen oversized Hoodie und eine Jogginghose an, wodurch meine Figur wenigstens etwas kaschiert wird. Trotzdem bin ich nicht wirklich glücklich damit, vor allem meine Haare nerven mich. Das tun sie immer, aber an solchen Tagen wie heute regen sie mich nicht nur auf, weil sie im Weg sind, sondern weil sie so aussehen, wie sie es nunmal tun. Ich meine, sie sind schulterlang und rosa. Was zur Hölle habe ich mir nur gedacht, als ich sie so gefärbt habe?
    Ich weiß, ich weiß, jeder darf lange rosane Haare haben. Ich habe auch nichts dagegen, wenn ein Junge sie so trägt. Aber ich fühle mich damit trotzdem zu sterotypisch-weiblich. Am liebsten würde ich eine Schere nehmen und alle Haare abschneiden.

    Noch bevor ich frühstücken gehe, suche ich im Internet schnell nach "Kurzhaarfrisuren Frau". Obwohl ich natürlich keine richtige Frau bin, will ich einfach Bilder sehen und vielleicht endlich zum Friseur gehen. Vor ein paar Monaten wollte ich mir schon einen Pixie schneiden lassen, aber hatte dann doch zu große Angst, vielleicht wird es diesmal was. Es ist mir egal, dass meine Mutter mich töten wird.
    Ich finde Bilder von Frauen, die ihre Haare auf wenige Millimeter bis Zentimeter kurz geschnitten haben und es sieht einfach bei allen super schön und androgyn aus! Zu hundert Prozent will ich das auch.
    Für's erste begnüge ich mich aber mit einem Pferdeschwanz und gehe in die Küche, um mir ein Müsli zu machen.
    "Guten Morgen, Schatz!", begrüßt meine Mutter mich.
    "Morgen", antworte ich lustlos

    So früh bin ich nicht zu gebrauchen. Entweder man wartet eine Stunde, bis ich richtig wach bin, oder man gibt mir einen Kaffee, aber keinesfalls sollte man aktive Beteiligung von mir erwarten. Unter der Woche werde ich zum Glück auf dem Schulweg wach, am Wochenende verziehe ich mich hingegen häufig direkt wieder in mein Zimmer.

    An der Schule angekommen sehe ich Freya wieder und muss direkt lächeln. Wir haben beschlossen, unsere Liebe geheim zu halten, aber darauf habe ich schon jetzt keine Lust mehr.
    In den ersten beiden Stunden haben wir Sport und zwar klassenübergreifend. Es gibt zwei Jungengruppen und zwei Mädchengruppen, die in verschiedenen Hallen verschiedenen Unterricht haben. In meine Gruppe geht, wie es der Zufall so schön will, unter anderem Freya.
    Bevor jetzt irgendjemand denkt, dass ich beim Umziehen gaffen würde, nur weil ich nicht hetero bin: Nein. Erstens gucke nicht x-beliebige Leute an und zweitens ist es für mich etwas völlig anderes, ob eine Schauspielerin in einem Film heiß aussieht, oder ob ich mit Klassenkameraden in der Umkleide stehe. Ich bin sowieso so, dass ich mich meistens möglichst schnell und wenig umziehe und dann den Raum verlasse. Tatsächlich fühle ich mich in der Umkleide immer richtig unwohl und habe sogar einen Anflug von Angst - vielleicht weil ich unterbewusst denke, dass man mir meine Sexualität anmerken könnte. Ich muss aber zugeben, dass mein Blick heute ganz kurz zu Freyas Gesicht huscht, vielleicht für eine Millisekunde.
    Ich habe mir meine Sportkleidung schon Zuhause angezogen, sodass ich meine Sachen erst nach der Doppelstunde wechseln muss. Zum Glück haben wir im Moment Tischtennis, dabei schwitzt man nicht ganz so sehr wie bei manchen anderen Sportarten. Anstrengend ist es trotzdem, aber man muss wenigstens nicht die ekelhaften Duschen benutzten, bis man Zuhause ist kommt man mit Deo aus.

    7
    Meine Mutter hat heute einen wichtigen Termin, wie sie sagt. Ich denke eher, sie versucht ihr Singledasein zu beenden. Momentan ist mir das aber relativ egal, Hauptsache ich bin allein Zuhause.
    Ich beschließe, etwas mit Freya zu schreiben.

    Hey Freya ❤

    Hi, was geht? 💕

    Bin allein Zuhause und habe Langeweile XD

    Haha ich auch. Meine Eltern arbeiten beide noch.

    Du musst mich mal beraten: Ich überlege schon seit Längerem, mir kurze Haare schneiden zu lassen. Wie findest du diese Frisur?

    Dann lade ich ein Bild von einer Frau mit Buzzcut hoch.

    Wow das würdest du wirklich machen? Ich denke, es würde dir wirklich gut stehen! ❤

    Echt? Ich möchte es unbedingt, aber habe noch ein kleines bisschen Angst, vor allem, wie meine Mutter denken wird. ☠

    Also ich find's echt cool. Außerdem kann Ich mich keine Frisur vorstellen, die dir nicht steht <3

    Danke 💖
    Ich würde es am liebsten jetzt gleich machen, bevor ich es mir anders überlege.


    Wieso nicht? Eigentlich könnte man sich das auch einfach selber schneiden, oder? Wenn du willst, kann ich eben vorbei kommen ^^

    Jaaa! Kannst du einen Rasierer mitbringen? Ansonsten wird das nämlich schwer 😂

    Ja, mein Vater hat neulich einen neuen gekauft. Noch unbenutzt. Weißt, wie man das Ding bedient?

    Vielleicht weiß Google das ja 😂 so schwer kann das aber ja nicht sein

    😅 Ok, ich bin dann in 15 Minuten da. Bist du dir sicher?

    Ja 💕

    Als Freya mit dem Rasierer an der Tür steht, bin ich plötzlich mega aufgeregt, bis jetzt war es nur so ein Gedanke. Aber ich bin mir trotzdem sicher, dass ich es durchziehen will.
    Im Badezimmer habe ich schon eine Schere, einen Handfeger und ein Kehrblech bereitgelegt.
    "Ich denke, wir sollten die Haare zuerst etwas kürzen", sage ich und greife die Schere. "Soll ich einfach abschneiden?" Hilfesuchend gucke ich Freya durch den Spiegel an.
    "Charlie, wenn du kurze Haare haben möchtest, dann mach es! Es wird zu hundertprozentig super aussehen! Und selbst wenn, das Zeug wächst doch wieder nach und bis dahin könntest du zur Not eine Mütze oder Snapback tragen." Aufmunternd lächelt sie mir zu und gibt mir damit den entscheidenden Impuls.
    Ich sehe, wie die Haare fallen und spüre, wie das Gewicht nachlässt. Es ist ein so erleichterndes Gefühl, dass ich es mache und mich nicht wegen anderen zurückhalte. Als ich mich wieder anschaue, bekomme ich erstmal einen Lachflash. Meine Haare sind nur noch einige Zentimeter lang und stehen in alle Richtungen ab. Noch immer leicht lachend nehme ich den Rasierer, auf den Freya in der Zwischenzeit einen Aufsatz gesteckt hat. Inzwischen wissen wir auch, dass man nicht wirklich viel falsch machen kann, außer die Haare zu kurz zu scheiden, was aber wohl nicht passieren wird. Und wenn ich mir aus Versehen eine komplette Glatze verpasse, wird man das in ein paar Wochen auch nicht mehr sehen.

    "Kannst du mir im Nacken bitte helfen?", frage ich Freya.
    "Klar", sagt sie und setzt den Trimmer an. Ich muss leicht kichern, teilweise aus Freude und Erleichterung und ein wenig auch, weil es kitzelt, wie das Gerät über meinen Kopf summt. Im Spiegel sehe ich, wie meine Ich-bin-in-einen-Schredder-geraten Frisur nach und nach zu einem ordentlichen Buzzcut wird. Und die gesamte pinke Farbe ist endlich weg, weil nur mein Ansatz noch da ist!
    "Fertig!", sagt Freya und schaltet den Rasierer wieder aus. Ich betrachte mich strahlend im Spiegel und streiche mir über den Kopf - ein Gefühl das ich mir nie im Leben so toll vorgestellt hätte. Ich drehe mich zu Freya um.
    "Ich liebe es! Genau wie dich." Und dann drücke ich ihr einen leichten Kuss auf die Wange.
    Weil alles voll mit Haaren ist, fegen wir diese kurz auf und ich beschließe, mich zu duschen. Freya sitzt solange in meinem Zimmer und isst mir wahrscheinlich meine ganze Schokolade weg. Was soll's.
    Es ist ungewohnt, dass keine Haare auf meine Schultern fallen oder über meinen Nacken streichen, wenn ich den Kopf bewege. Aus Reflex streiche ich mir meine Haare hinter die Ohren, ohne etwas anderes als Luft zu berühren. Und das Duschen dauert auch viel kürzer als gewöhnlich. Ich werde mir nie wieder meine Haare föhnen müssen, denke ich belustigt.
    Als ich, wieder angezogen natürlich, das Bad verlasse, kommt Freya mir schon entgegen. "Meine Mutter hat gerade angerufen, es gibt bei uns gleich Essen. Ich soll wieder nach Hause kommen." Sie scheint traurig darüber zu sein, nicht länger bleiben zu können, was ich sehr gut nachvollziehen kann. Trotzdem sage ich: "Ist schon okay, meine Mutter wird bestimmt auch bald kommen. Danke noch einmal für deine Hilfe, ohne dich hätte ich mich vielleicht nicht getraut."
    "Klar doch, keine Ursache", antwortet Freya. "Dein Zimmer ist übrigens richtig cool! Du hast in den letzten Jahren einiges verändert, oder?"
    "Ja", sage ich lächelnd. "Ich finde es so auch deutlich besser."

    An der Haustür umarme ich Freya zum Abschied und wir küssen uns gegenseitig auf die Wangen. Es ist nichts großes, viele die ich kenne würden dass als freundschaftlich ansehen und nichts mehr. Für mich ist es trotzdem eine große Sache, denn für uns beide steckt mehr hinter der Geste.
    "Dann bis morgen?", fragt Freya. Bevor ich ja sage, drücke ich ihr noch einen Kuss auf den Mund. Auf diese unendlich weichen warmen Lippen...

    8
    Meine Mutter kommt nur gute zehn Minuten nach Freyas Verlassen an und mit ihr der erwartete Schock: "Ach du meine Güte! Was ist passiert Schatz?"
    "Mama, ich habe mir nur die Haare geschnitten... Ich-"
    Weiter komme ich nicht, da sie mich unterbricht.
    "Aber Charlie...! Warum denn so kurz? So siehst du ja gar nicht mehr wie ein Mädchen aus!"
    Ich weiß, dass sie es nicht böse meint. Sie ist nur erschrocken und drückt sich deswegen so aus. Trotzdem macht mich diese Bemerkung wütend.
    "Und es wäre, wenn ich genau das möchte?", schlage ich deutlich bissiger als gewollt zurück.
    "Oh mein Gott, Charlie. Meinst du etwa, du bist auch so ein Transgender-Mensch? Habe ich irgendetwas falsch gemacht?"
    Je mehr meine Mutter redet, desto schlimmer wird es. Ich dachte, sie wäre etwas verständnisvoller und wüsste vielleicht wenigstens, dass das Geschlecht nichts mit Erziehung zu tun hat, aber anscheinend habe ich mich geirrt. Als nächstes fragt sie bestimmt noch, ob wir zum Arzt fahren sollen um mich zu heilen oder sowas.
    Meine Augen füllen sich mit Tränen. Nein, ich werde jetzt ganz sich nicht weinen! Ich bereue nichts und brauche mich auch nicht zu schämen oder sonst etwas, nur weil ich mir endlich kurze Haare geschnitten habe!
    "Ich kann so aussehen und sein wie ich will, das hat nichts damit zu tun, als was du mich haben willst. Wenn ich ein Junge wäre, wäre das vollkommen in Ordnung!"
    Ich werde nicht in mein Zimmer laufen. Ich bleibe da stehen, wo ich bin und schaue meiner Mutter weiterhin fest in die Augen.
    "Charlie... Ich- Ich wollte nicht sagen, dass etwas nicht mit dir stimmt", sagt sie. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass das nicht ganz der Wahrheit entspricht. "Ich meine ja nur, vielleicht bist du gerade in einer Phase, wo du dir nicht ganz sicher mit dir bist. Das hat doch jeder mit 14 oder 15 Jahren."
    Eine Phase. Genau das ist der Hauptgrund, warum ich nicht vorhabe, mich in nächster Zeit als komplett queer zu outen. Verstehen wird sie mich ja eh nicht.

    Obwohl ich stark bleiben und nicht fliehen wollte, halte ich es einfach nicht mehr mit ihr zusammen aus. Ich drehe mich von ihr weg, streife mir meine Schuhe über, greife im Loslaufen meine Jacke und meinen Schlüssel und renne dann die Treppen herunter. Ich habe mir nicht im Geringsten überlegt wohin ich will, Hauptsache weg.
    Während ich durch den Regen davonrenne, kann ich langsam wieder klare Gedanken fassen.

    Ich ziehe mein Handy aus der Tasche und rufe Freya an, die einzige Person, der ich in diesem Moment vertraue. Die Person, bei der ich mich so geborgen und sicher fühle, wie sonst nirgends. Es ist mir egal, ob sie gerade isst oder nicht. Mit dem Starksein ist es endgültig vorbei und unter Tränen erzähle ich ihr kurz, was meine Mutter gesagt hat.
    "Und als sie dann alles als eine Phase abgetan hat, ohne überhaupt zu wissen wovon sie redet, habe ich es einfach nicht mehr ausgehalten", sage ich, gefolgt von einem weiteren Schluchzer. Nach einer kurzen Pause fragt Freya am anderen Ende der Leitung: "Möchtest du erstmal bei uns vorbei kommen? Ich habe mich vor meinen Eltern schon geoutet und seit sie mehr über lgbt wissen, sind sie auch deutlich verständnisvoller. Außerdem ist noch Lasagne da, wenn du dich beeilst müssen wir sie nicht einmal aufwärmen."
    "Danke, ich bin gleich da. Ich wüsste echt nicht, was ich ohne dich jetzt machen sollte, außer weiter im Regen stehen."
    Ich schalte mein Handy wieder auf Standby und gehe in Richtung von Freyas Wohung.
    Bis ich endlich in ihrer Straße ankomme, bin ich trotz Jacke ziemlich durchnässt.

    Zum Glück kenne ich Freyas Familie schon seit Jahren, daher habe ich nicht das Problem, ob ich sie siezen oder duzen soll.
    "Charlie, schön dich auch mal wieder zu sehen! Freya hat schon erzählt, dass ihr eure Freundschaft wieder etwas mehr ausbaut", begrüßt mich Thea, ihre Mutter.
    "Ja, wir machen in letzter Zeit wieder mehr miteinander."
    Dann essen wir erstmal schweigend die Lasagne, die nebenbei bemerkt extrem gut schmeckt. Ich versuche, mich möglichst glücklich zu zeigen, aber die Worte meiner Mutter lassen mich so schnell nicht los. "Ist alles in Ordnung?", fragt Freyas Vater. Er merkt ziemlich schnell, wenn es jemandem nicht gut geht.
    "Ich hatte nur einen kleinen Streit mit meiner Mutter, deshalb bin ich auch so spontan vorbeigekommen. Sonst hätte ich früher Bescheid gesagt."

    Nach dem Essen gehe ich mit in Freyas Zimmer, wo wir uns auf ihr Bett setzen.
    "Möchtest du reden?", fragt Freya mich. Ich nicke und kämpfe meine aufkommenden Tränen nieder. "Meine Mutter versteht mich einfach nicht. Sie sollte mich doch lieben, so wie ich bin und nicht versuchen, mir meine Eigenschaften auszureden. Sie weiß nichts über mich und meine sexuelle Identität", sage ich mit etwas gedämpfter Stimme, damit nur Freya hört was ich sage.
    Freya legt ihren Arm um mich und legt ihren Kopf auf meine Schulter. "Wir kriegen das wieder hin, ok? Ich bin mir sicher, dass sie dich eigentlich liebt und nur nicht weiß, wie sie mit der Situation umgehen soll."
    Eigentlich stimmt das wohl, trotzdem hat mich meine Mutter noch nie so sehr verletzt wie vorhin.

    9
    Am Morgen stehe ich extra früh auf und beeile mich, um meiner Mutter möglichst aus dem Weg zu gehen. Außerdem trage ich einen Hoodie und setze die Kapuze erst wieder ab, nachdem ich aus dem Haus bin. Komischerweise ist es mir egal, was die Passanten denken. Erst, als ich an der Schule ankomme, habe ich plötzlich etwas Angst, wie meine Klassenkameraden reagieren könnten. Trotzdem setze ich die Kapuze nicht wieder auf, man sollte sich doch nicht für Haare schämen, oder? Und siehe da, meine Angst war wirklich unbegründet. Einige der Mädchen sagen, es würde mir gut stehen, aber der Rest der Klasse gibt nicht einmal einen Kommentar ab. Als ich mir das letzte Mal die Spitzen schneiden lassen habe, gab es sogar mehr Drama.
    In den ersten Stunden haben wir heute Religion, aber eigentlich machen wir nur Ethik, was den Unterricht viel besser macht. Danach bekommen wir unsere Halbjahreszeugnisse und dürfen wieder gehen.

    Wie so oft streiten sich die Jungen in meiner Klasse in der kurzen Pause. Unsere Lehrerin holt sich einen Tee und deshalb sind wir kurz alleine, was man 14 bis 15 Jährigen ja auch zutrauen können sollte. Aber nicht allzu selten fühlt man sich, als wäre das hier noch ein Kindergarten. Zum Glück bin ich inzwischen ganz gut darin, die anderen auszublenden - meistens.
    "Alter du bist so schwul!"
    Solche Bemerkungen haben mich schon immer auf die Palme gebracht, weil ich mich dadurch persönlich angegriffen fühle, und das sogar schon, bevor ich mich als queer gesehen habe. Ich öffne den Mund, um Niklas zurechtzuweisen, aber bevor ich einen Ton herausbekomme, sagt Louis selbst etwas. Anscheinend war er gerade gemeint.
    "Na und? Ist was falsch daran? Alter, du bist ja sooo straight", erwidert er sarkastisch und verdreht die Augen.
    Daraufhin herrscht erst einmal Stille, in der Louis realisiert, was er gerade gesagt hat.
    Frau Deters kommt wieder in das Klassenzimmer. "Ist etwas passiert? Normalerweise seid ihr nicht so leise." Niemand sagt etwas. "Gut, unser nächstes Thema ist übrigens Diskriminierung und sexuelle Identität. Was wir jetzt machen, zählt übrigens in die Note für das zweite Halbjahr."
    Weil sich noch immer niemand traut etwas zu sagen, fängt Frau Deters mit dem Unterricht an. "Ich habe mir gedacht, dass wir zum Einstieg eine Schätzaufgabe über den Anteil von queeren Personen machen könnten. Wenn alle einverstanden sind, könnten wir auch anschließend eine anonyme Umfrage in der Klasse machen. Ist jemand dagegen? Falls ja, sagt das bitte, daran ist nichts schlimmes." Niemand meldet sich. "Möchte jemand eine Schätzung abgeben?"
    Sophie meldet sich: "Ich würde sagen, eine Person in unserer Klasse ist queer."
    Zögerlich melde ich mich auch zu Wort. "Ich würde eher zwei schätzen."
    "Ich auch", sagt Louis.
    Nachdem jeder eine Zahl zwischen 1 und 4 gesagt hat, dürfen wir über unsere Smartphones auf eine Internetseite für anonyme Umfragen gehen. Wir sollten extra heute alle unsere Handys mitbringen. Auf der Seite gibt es zwei Auswahlmöglichkeiten: cis+hetero und queer. "Cis bedeutet, dass man sich dem Geschlecht zugehörig fühlt, mit dem man körperlich geboren wurde und hetero heißt, dass man als Frau Männer liebt und anders herum. Alle anderen Geschlechter und Sexualitäten sind unter queer zusammengefasst", erklärt unsere Lehrerin kurz. "Wer sich überhaupt nicht sicher ist oder doch nicht mitmachen möchte, enthält sich bitte einfach. Niemand kann sehen, wer was antwortet."
    Von den 27 Personen haben exakt zwei queer angegeben und ich bin mir sicher, dass ich weiß, wer die beiden sind. Allerdings sind nur 26 Stimmen abgegeben worden.
    "Ich möchte noch einmal ausdrücklich darauf hinweisen, dass niemand sich für seine Gefühle schämen muss und, unter meiner Aufsicht, definitiv nicht deswegen benachteiligt wird. Auch sonst seid bitte tolerant und verwendet Adjektive wie schwul und behindert nicht als Schimpfwörter, denn das sind sie nicht. Und auch nicht als Witz. Alle Geschlechter und Sexualitäten sind gleich normal, auch wenn manche vielleicht seltener sind. Die Umfrage war dazu gedacht um euch zu zeigen, dass lpbgst nicht jeder heterosexuell und cis ist und dass man niemandem deren Sexualität und Geschlecht ansehen kann."

    Anders als in den letzten Jahren wird nicht mehr so ein großes Theater über die Zeugnisausgabe veranstaltet, worüber ich auch froh bin. Abgesehen davon, dass es einfach weniger unnötiges Trara gibt, kommen wir so auch schneller nach Hause.
    Ich überfliege meine Noten, die meisten sind 2en oder 3en. Eine 4 ist dabei, aber auch zwei 1en. Nicht das beste Zeugnis, aber immerhin etwas besser als mein letztes, wo ich einen Schnitt von exakt 2,5 hatte.

    Ich habe etwas Angst, wie meine Mutter mich wohl empfangen wird und bin deshalb besonders auf der Hut. Allerdings scheint sie in ihrem eigenen Zimmer zu sein, weshalb ich nicht direkt mit ihr reden muss.
    Vor meiner Zimmertür liegt ein Papier. Ich schließe die Tür hinter mir und setze mich mit dem Brief in der Hand auf das Bett.

    Hey Charlie,
    Es tut mir leid, wie ich gestern reagiert habe. Wenn du innerlich ein Junge sein möchtest, ist das in Ordnung. Es war nicht richtig von mir, es als Phase abzutun. Vielleicht ist es das ja doch nicht und du wirst für immer so sein. Ich habe dir nicht die Aufmerksamkeit geschenkt, die du gebraucht hättest. Ich kann verstehen, warum du weggelaufen bist. Ich möchte gerne für ich da sein und dich unterstützen. Du kannst immer zu mir kommen und mit mir sprechen.
    Von deiner Mutter, die dich liebt ♡


    Ich bezweifle immer noch, dass sie mich auch nur ansatzweise versteht. Zunächst einmal bin ich kein Junge, aber ok, das weiß sie nicht. Trotzdem, wenn ich ein trans Junge wäre, dann würde ich nicht innerlich einer sein wollen, sondern wäre schon einer. Außerdem ist der ganze Text so formuliert, als wäre sie enttäuscht von mir und sich. Vielleicht wäre ich ja doch für immer so. Sie hätte mir nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt. Warum kann sie nicht verstehen, dass das Geschlecht keine Krankheit oder ein Erziehungsfehler ist?
    Ich könnte zu ihr gehen und mit ihr reden, wie sie ja will. Aber ich habe weder Lust auf eine Diskussion, noch dass sie mir wieder vermittelt, es sei falsch. Ich bin genderflux und stehe auf Mädchen und daran ist niemand Schuld, weil es vollkommen richtig ist. Punkt. Meine Mutter sollte definitiv an meiner Stelle in Frau Deters' Unterricht gehen.
    Nichtsdestotrotz sind in meinem Inneren Zweifel. Vor einem knappen Jahr habe ich mir endlich voll und ganz eingestanden, queer zu sein und es nicht selber, unbewusst wie bewusst, als Phase zu sehen. Manchmal kommen in mir aber Gedanken hoch, wie dass ich mir nicht sicher sein könnte oder eben, dass meine Mutter vielleicht Recht hat. Ich weiß, dass es keinen Grund gibt, das zu glauben. Nur sind Gefühle und Gedanken nicht immer leicht zu kontrollieren.

    Um mich abzulenken schreibe ich Freya.

    Hey ^^

    Hi

    Hast du morgen vielleicht Zeit was mit mir zu machen?

    Naja, wenn du Marvelfilme magst ja. Ich habe nämlich schon Kinokarten. Du könntest mitkommen wenn du möchtest, ich habe nämlich eine Karte über, weil mein Vater doch nicht mit will.

    Ja, das wäre voll cool! Welcher Film ist es denn?

    Avengers Infinty War

    im April soll die Fortsetzung rauskommen


    Cool, ich habe den Film tatsächlich noch nicht geguckt, obwohl ich Marvelfan bin. Soll ja n riesen Cliffhanger sein und ich will nicht zu lange auf die Auflösung warten müssen 😅

    Haha genau das war auch mein Grund 😂

    😂❤ Wann ist die Vorstellung?

    morgen um 13 Uhr fängt der Film an:)

    Gut, ich komme dann bei dir vorbei, ok? <3

    Ok 💞

    Ach so, wenn meine Mutter es erlaubt, könnte ich dann vielleicht bei dir übernachten? Ich könnte Filme und Chips mitbringen und dann machen wir es uns gemütlich

    gerne! ❤ Dann bis morgen?

    Bis morgen 😘

    😘

    "Mama?", frage ich und klopfe zögerlich an ihre Tür. Ich habe nicht vor, ihr meine Gefühle zu erklären, zumindest nicht jetzt. Ich werde sie nur fragen, ob ich mit Freya und Kino darf und einmal sagen, dass alles gut ist.
    "Komm rein! Charlie, es tut mir wirklich leid, das gestern. Ist alles gut?", fragt meine Mutter mich und ich kann nicht einordnen, ob sie wirklich besorgt ist.
    "Ja, mir geht es gut. Ich wollte nur fragen, ob ich morgen mit Freya ins Kino darf", antworte ich daher. Mit einem leicht überraschten Blick sagt meine Mutter: "Klar. Brauchst du Geld für die Karte?"
    Ich bin erleichtert, dass sie es einfach so hinnimmt. Vielleicht fühlt sie sich tatsächlich schuldig und möchte mir jetzt mehr Freiraum geben? "Nein, sie hat noch ein Ticket über. Kann ich danach bitte noch bei Freya übernachten?"

    10
    Heute Morgen bin ich nach dem ersten Wecker direkt hellwach und stehe ausnahmsweise mal glücklich und voller Elan auf. Wahrscheinlich, weil ich im Grunde gleich, in gerade einmal anderthalb Stunden, ein Date habe. Und die brauche ich, um zu frühstücken, zu duschen und mich generell fertig zu machen. Zugegebenermaßen ist es auch nicht mehr sehr früh am Morgen, sondern schon elf Uhr, was vielleicht auch eine kleine Rolle spielt.
    In Rekordzeit sitze ich am Küchentisch und esse zwei Brötchen.
    Auch die kurze Fahrt zu Freya geht schneller als erwartet, sodass ich etwas zu früh da bin. Aber das macht nichts, weil Freya auch zu schnell war.
    Lächelnd kommt sie aus dem Haus: "Auch zu früh, was?"
    Ebenfalls lachend umarme ich sie und drücke ihr nach einem kurzen Seitenblick einen Kuss auf die Lippen. Wieder ist es so, als würde ein kleines Feuerwerk in mir explodieren.

    Bis zum Kino ist es nicht sehr weit und so fährt Freya mit ihrem Fahrrad und ich auf meinem Skatebord an ihrer Seite. Da wir die Karten schon haben, müssen wir nur noch Snacks kaufen. Der Gerechtigkeit wegen und, okay, auch meiner Liebe verschuldet, übernehme ich das.
    Zusammen mit unseren Nachos gehen wir zu den Plätzen, die relativ weit hinten im Saal sind. Noch ist es so gut wie leer, die wenigen anderen Leute sitzen außerdem in Reihen, die weiter vorne liegen. Nach und nach füllt sich der Saal und schließlich gehen auch die Lampen langsam aus. Nach der Werbung hören auch alle Gespräche auf. Ich greife Freyas Hand und endlich beginnt auch der Film.

    Zweieinhalb Stunden später verdunkelt sich die Leinwand und langsam wird die Deckenbeleuchtung wieder eingeschaltet.
    Im Kinosaal ist es so still, dass man eine Stecknadel fallen hören könnte, wenn nicht der gesamte Boden mit Teppich ausgelegt wäre.
    "Sobald Endgame rauskommt, schauen wir uns den Film an, oder?", breche ich schließlich das Schweigen, obwohl die Antwort bereits klar ist: "Definitiv. Die Leute, die den Film schon letztes Jahr gesehen haben tun mir leid. Wie halten die das so lange aus?"
    Obwohl der Film echt gut gemacht war, ist unsere Stimmung weiterhin nicht gerade gut.
    "Ich habe meine Sachen schon gepackt", sage ich. "Ich muss nur noch eben den Rucksack mitnehmen. Wir könnten uns übrigens noch einmal Thor Ragnarok angucken, den habe ich auf DVD." Freya nickt zustimmend und lächelt.

    Auf dem Weg zu Freyas Wohung halten wir kurz bei mir, wo ich die Treppen hochsprinte, mir meinen Rucksack schnappe und ihn mir eben über die rechte Schulter werfe. Ich bin schon wieder im Treppenhaus, als mir einfällt, dass ich ja noch den Film einstecken wollte.
    Als ich endlich wieder unten bin, erwartet mich Freya.
    "Na endlich", sagt sie mit einem gespielt genervten Tonfall. "Hast ja ganz schön lange gebraucht."
    Lachend antworte ich ihr: "Ja, ich habe die DVD erstmal liegen lassen und musste dann wieder einen Stock hoch und sie holen. Bin ein bisschen verpeilt in letzter Zeit."
    Dann fahren wir wieder los und kommen wenig später auch bei Freya Zuhause an.
    Nachdem ich meine Tasche in ihrem Zimmer abgestellt habe, setzen wir uns mit Chips und Cola auf das Sofa im Wohnzimmer und legen die DVD ein. Ich lege meinen Arm um Freya und als sie ihren Kopf an meine Schulter lehnt, wird das Kribbeln in meinem Bauch immer stärker. Der Film hat von der ersten Szene an unzählige witzige Momente und lenkt uns so von dem Cliffhanger ab.

    Nachdem wir fertig geschaut haben, gehen wir rüber, um für die Nacht alles vorzubereiten.
    "Ich denke es ist das beste, wenn ich meine Matratze einfach auch auf den Boden lege", sagt Freya. Ich nicke zustimmend, so können wir direkt nebeneinander liegen, anstatt auf verschiedenen Höhen. Ihr Zimmer ist groß genug, sodass wir beide nebeneinander schlafen können, auch wenn dann der ganze Fußboden mit Matratzen zugepflastert ist.
    "In einer halben Stunde gibt es Abendbrot, danach könnten wir noch etwas spielen, wenn du möchtest."
    "Klingt gut. Weißt du, was es heute bei euch gibt?", frage ich.
    "Ich glaube Reis und eine Gemüsepfanne, ich bin mir aber nicht sicher."

    Ein leckeres Essen und eine Partie Monopoly später gehen wir wieder in Freyas Zimmer.
    Wir legen uns so nebeneinander, dass wir uns gegenseitig in die Augen schauen können. Ich lächle und kuschle mich in mein Kissen. Beinahe spüre ich Freyas Atem in meinem Gesicht, so nah sind wir einander. Es kommt mir surreal vor, dass wir seit fast einer Woche zusammen sind. Es sind zwar nur sechs Tage, aber es kommt mir viel länger vor.
    "Ich liebe dich", flüstere ich ihr zu, obwohl wir es eigentlich beide schon wissen. "Wusstest du, dass du ganz leichte Sommersprossen hast? Die machen dich irgendwie noch schöner." Obwohl ich dachte, dass das nicht möglich wäre, füge ich in Gedanken hinzu.
    "Danke", sagt Freya. "So wie dein kleines Muttermal am linken äußeren Augenwinkel."
    "Ich wusste gar nicht, dass ich das habe", sage ich überrascht und lächle ebenfalls.
    "Doch, schon immer, und du siehst total süß damit aus."
    "Ich will aber nicht süß sein", kichere ich.
    "Tja, dein Pech. Du bist nämlich der süßeste Mensch den ich kenne!", neckt Freya mich weiter.
    "Ich dachte immer, du wärst ein lieber Engel, aber das gerade... Das bekommst du zurück!"
    Ich ziehe mein Kissen unter meinem Kopf hervor und schlage Freya spielerisch damit. Wir müssen beide lachen, als sie es zurückschleudert und wir uns in einer ausgewachsenen Kissenschlacht wiederfinden.

    "Stopp, ich kann nicht mehr", keucht Freya schließlich und auch ich bin etwas außer Atem.
    "Ergibst du dich also?"
    "Du bist kindisch"
    "Das sind wir doch beide. Also?"
    "Jaja, ich ergebe mich, bitte hab Gnade", sagt sie schmunzelnd.
    "Na schön, aber nur weil du es bist", antworte ich grinsend. "Nicht weil ich auch erschöpft bin oder so."
    Ich lasse mich zurück auf meine Matratze fallen.
    "Ich finde es cool, dass du auch sowas mitmachst, Charlie."
    "Was war daran denn bitte cool?"
    Wir beide müssen lachen.
    "Wenn ich jetzt sage du, wäre das sehr kitschig?"
    "Irgendwie schon, aber mach ruhig wenn du willst."
    "Was ich eigentlich sagen wollte, ich finde es schön, dass du auch Quatsch mitmachst, in der Schule wirkst irgendwie du oft so ernst. Ich dachte ehrlich, wir hätten uns auseinander gelebt."
    "Ich fühle mich etwas schlecht, unser Kontakt ist ja hauptsächlich wegen mir abgebrochen..."
    "Wieso wegen dir?"
    "Naja, ich war immer nur bei den ganzen nervigen Leuten aus meiner Klasse, anstatt mal was mit dir zu machen."
    "Aber ich habe mich auch ziemlich zurückgezogen, von mir aus."
    "Ich wollte mich eigentlich oft zu dir stellen und nicht zu meinen Klassenkameraden, aber ich dachte, wenn ich einfach so weglaufe, würden die mich nicht mehr mögen oder so. Ziemlich dumm im Nachhinein, oder?"
    "Aber verständlich. Und jetzt haben wir sowieso wieder zusammengefunden, also ist alles gut, oder?"
    "Ja, du hast Recht."
    Wir unterhalten uns noch lange und vergessen die Zeit, während wir lachen, in Erinnerungen schwelgen und immer mehr über einander erfahren, obwohl wir uns größtenteils schon in- und auswendig kannten.
    Irgendwann ist das einzige, was ich von Freya noch höre ihr ruhiger Atem.

    Einmal wache ich auf, draußen ist es noch stockdunkel. Anscheinend habe ich mich im Schlaf gedreht, denn ich liege mit dem Rücken zu Freya. Sie hat sich an mich gekuschelt und ihren Kopf an meinen Nacken geschmiegt. Mir einem Lächeln im Gesicht dämmere ich langsam wieder weg.

    11
    Pock! Pock! Pock!
    Das Klopfen reißt mich abrupt aus meinen Gedanken, die sich um die wunderschöne Nacht gestern drehen.
    "Ja?", sage ich.
    Meine Mutter kommt in mein Zimmer und an ihrem ernsten Blick erkenne ich, dass ich sie nicht einfach loswerden können werde.
    "Wir müssen reden, Charlie."
    Durch ihre feste Stimme wirkt der Satz noch kompromissloser als sowieso schon. Ich beschließe, dass es nichts bringt, wenn ich ihr auszuweichen versuche. Lieber so direkt wie möglich.
    "Stimmt", antworte ich deswegen. "Ich bin kein Junge und wenn, dann wäre das nicht schlimm."
    Meine Mutter zieht die Augenbrauen hoch, wahrscheinlich hat sie mit allem gerechnet, nur nicht damit.
    "Charlie, ich wollte nicht sagen, dass du falsch wärst. Ich würde dich gerne verstehen und dir helfen, aber dazu musst du offen mit mir reden", sagt sie nun in einem sanfteren Tonfall. Trotzdem klingt noch dieser Unterton mit, dem ich nicht vertrauen mag.
    "Ich brauche nichts, Mama. Ich möchte dir nur klarmachen, dass ich keine Phase bin."
    Während ich den Satz ausspreche, merke ich, dass es nicht ganz der Wahrheit entspricht. Ich brauche keine Hilfe, aber ich bräuchte die Art von Unterstützung und Beistand, die meine Mutter mir einfach nicht gibt. Das, was mir mehr Offenheit zu ihr erlauben würde.
    Deutlich verzweifelter als erwartet erwidert meine Mutter: "Ich wollte dir doch nur meine Unterstützung anbieten, wo auch immer du sie brauchst. Und kannst du mir bitte sagen, welches Geschlecht du hast? Du weißt nicht, wie schwierig die ganze Ungewissheit für mich ist..."
    Sie klingt nicht mehr so, als würde sie mich hintergehen, sondern einfach nur noch besorgt. Vielleicht hatte Freya Recht und meine Mutter ist nur überfordert, vielleicht sollte ich ihr wirklich einfach alles erklären.
    "Mama, es gibt mehr als zwei Geschlechter, okay? Ich bin kein Junge, ich bin genderflux. Girlflux, wenn du es genau wissen willst. Es gibt außerdem übrigens auch mehr Sexualitäten als hetero und homo, keine Ahnung ob du das wusstest." Ich klinge abweisender, als ich wollte, aber das ist mir gerade egal.
    Der Blick meiner Mutter ist zugleich besorgt und ablehnend. Trotzdem bemüht sie sich, freundlich zu bleiben: "Vielleicht ist es keine Phase, vielleicht aber doch. Egal was, wir werden damit fertig. Du musst dich ja noch nicht festlegen, die Pubertät ist ja auch zum Ausprobieren und Entdecken da, nicht wahr?"
    Obwohl sie immer noch weder mein Gender noch meine Sexualität wahr haben möchte, toleriert sie mich wenigstens für den Moment - und ich habe etwas Zeit.
    "Solange du nicht gleich mit einem anderen Mädchen intim wirst, ist ja alles gut. Außerdem kann sich ja alles noch ändern, vielleicht überlegst du dir es noch einmal."
    Meint sie, ich solle überlegen welches Geschlecht und welche Sexualität ich habe? Oder ich sollte doch überlegen, nicht doch lieber ganz normal auf Jungs zu stehen? - Was fast so lächerlich wie unmöglich wäre. Und: zählt Küssen als intim werden? Denn dann hätte sie Pech gehabt.
    "War das jetzt alles?", frage ich. Mit einem Nicken wendet sich Mama ab und gehst wortlos aus dem Raum. Ich schließe die Tür und lehne mich daran. Seufzend lasse ich mich auf den Boden rutschen und ziehe meine Knie an die Brust.
    Ich kann einfach nicht mehr, es ist mir alles zu viel. Warum akzeptiert sie mich nicht einfach wie ich bin? Ich habe doch schon genug Druck - Vielleicht wirke ich so, als würde ich ohne Probleme mit der Schule klar kommen und nebenbei über 20 Freundinnen haben. Aber ich habe einfach Angst davor, zu versagen. Ich will meinen Status in der Klasse nicht verlieren. Ständig fühle ich mich, als wäre ich nicht gut genug und niemand bekommt mit, wie ich innerlich zerbreche. Nur wenn ich mit Freya zusammen bin kann ich alles andere vergessen.
    Ich vergrabe mein Gesicht in meiner rechten Armbeuge und versuche, nicht zu laut zu schluchzen. Meine Tränen versickern stumm in dem Stoff meines Hoodies.

    "Meine Mutter kommt immer noch nicht damit klar, dass ich queer bin. Sie meinte, ich soll es mir noch einmal überlegen - als könnte ich mir das aussuchen und würde mich für sie ändern!"
    Aufgebracht trete ich gegen einen Kieselstein, der auf dem Weg hier im Park liegt.
    "Sie wird es schon noch akzeptieren", sagt Freya, die neben mir läuft. "Natürlich verhält sie sich vollkommen falsch, aber du darfst trotzdem nicht vergessen, dass du viel mehr Zeit hattest um über deine Identität nachzudenken."
    Mit einem leicht gequälten Blick seufze ich und antworte dann: "Ja, schon... Aber ich musste ja auch erstmal rausfinden, wie ich bin. Sie muss es nur akzeptieren!"
    "Stimmt, aber das wird bestimmt noch kommen - und ich unterstütze dich sowieso."
    Als Freya nach meiner Hand greift, drücke ich sie dankbar. Ich bin so froh, dass ich sie habe.
    "Wie hast du eigentlich rausgefunden, dass du omnisexuell bist? Also woher wusstest du, dass bi, poly, pan oder so nicht besser passt?", frage ich.
    "Naja, ehrlich gesagt dachte ich lange, ich wäre bi", sagt Freya. "Aber das hat sich immer irgendwie falsch angefühlt. Ich habe dann im Internet ziemlich viel gesucht und bin auch auf Pansexualität gestoßen, aber wie gesagt ist Gender für mich nicht unbedeutend. Und zu sagen, dass ich omni bin, fühlt sich einfach richtig an. Ich glaube aber, das zweite ist sowieso wichtiger."
    "Ich hatte das auch schon mehrfach, dass ein Label einfach gepasst hat, aber irgendwie tut es das nach ein paar Monaten nicht mehr. Inzwischen habe ich gar keine Ahnung mehr, was ich eigentlich bin", sage ich. "Ich weiß ja, dass man sich nicht labeln muss, aber es fühlt sich an, als bräuchte ich einfach ein Wort für meine Gefühle." Ich blicke hilfesuchend zur Seite, als bräuchte ich eine Bestätigung, dass Freya mich versteht. "Ich meine, es gibt ja Wörter wie sapphic, aber es ist mir zu ungenau einfach zu sagen, dass ich mindestens Frauen mag."
    "Ich bin mir sicher, du findest noch ein passendes Label. Aber ich verstehe, was du meinst, mich hat es auch aufgeregt, als ich nur Wörter kannte, die sich nicht richtig anfühlten."
    Schweigend nicke ich, fühle mich aber schon ein bisschen besser. Allein, dass Freya bei mir ist schenkt mir ein Gefühl von Geborgenheit. An ihrer Hand kann ich ihren Puls fühlen, rhythmisch und beruhigend.
    Ein kleiner Regentropfen fällt mir auf die Stirn, gefolgt von einem weiteren und dann noch einem. Die vereinzelten Tropfen werden zu einem leichten Sprühregen, der allerdings noch nicht allzu sehr nervt. Ich weiß, dass Freya Regen an sich sogar mag, solange er schwach ist und so spazieren wir in einem gemütlichen Tempo weiter.

    Als der Sprühregen sich langsam zu einem ausgewachsenen Starkregen entwickelt, beschließen wir, bei Freya Zuhause Unterschlupf zu suchen.
    "Mama, Charlie bleibt eben hier, bis der Regen nachlässt, ja?", ruft Freya, sobald sie die Tür aufgeschlossen hat.
    "Ja, natürlich. Ich koche gerade, sie kann auch mitessen!", ruft sie zurück. Unwillkürlich zieht sich in mir etwas zusammen, obwohl ich gerne mitessen möchte. Vielleicht ist es wegen den Pronomen, vielleicht aber auch, weil sie so viel netter zu mir ist als meine eigene Mutter.

    In Freyas Zimmer setzen wir uns auf ihr Bett. Ich lehne mich an die Wand und schaue zu Freya. Sie schaut mich mit einem Lächeln an und wie automatisch bewegen sich meine Mundwinkel ebenfalls nach oben. Erst jetzt fällt mir auf, dass Freya rechts ein mega süßes Grübchen hat.
    Ich schlage meine Beine um, sodass ich komplett zu Freya gedreht bin. Fast wie abgesprochen setzen wir gleichzeitig zu einem Kuss an. Als ich ihre Hände in meinem Nacken spüre, durchfährt mich wie bei jeder Berührung ein angenehmer Schauer. Ich schließe meine Augen und lasse mich voll und ganz auf die Gefühle ein. Freya weiche Lippen, ihr warmer Atem, alles ist so perfekt. Ich schlinge meine Arme um Freya und will sie nie mehr loslassen.
    Der Regen, der gegen das Fenster prasselt hört sich unendlich fern und unbedeutend an. Wieder fühlt es sich so an, als gäbe es nur uns beide auf der Welt. Ich fühle mich, als würde ich schweben... so leicht und glücklich und - plötzlich höre ich, wie die Tür schwungvoll geöffnet wird.
    "Es gibt Es-... oh."
    Ich löse mich abrupt von Freya und spüre, wie meine Wangen anfangen zu brennen.
    "Entschuldigung, ich wollte wirklich nicht stören", sagt Thea leicht peinlich berührt. "Wenn ihr wollt, könnt ihr gleich Essen kommen."
    Dann dreht sie sich um und schließt die Tür hinter sich.
    Nach einigen Sekunden betretener Stille die sich anfühlen wie eine Stunde breche ich leicht überrascht das Schweigen: "Sie hat wirklich kein großes Problem damit, oder?"
    "Nein, sag ich doch, trotzdem hätten wir ihr unsere Beziehung vielleicht diskreter beibringen können. Aber das ist ja jetzt eher obsolet, oder?"
    "Ja, klar", antworte ich.

    Dann gehen wir ins Wohnzimmer und setzen uns an den Tisch.
    Ich meide den Blickkontakt zu Freyas Eltern, da es mir ausgesprochen unangenehm ist, wie wir eben überrascht wurden. Schweigend nehme ich mir eine kleine Portion des lecker riechenden Auflaufs. Wir vier essen schweigend und obwohl ich weiß, dass das Essen hier immer gut schmeckt, überrascht es mich jedes Mal. Schließlich lege ich mein Besteck aber zur Seite, denn wir haben noch etwas vor. Mein Herz schlägt vor Aufregung und, ich gebe es ja zu, auch etwas vor Angst, schneller, sodass ich mein eigenes Blut in den Ohren rauschen höre.
    "Wir... wollten euch etwas sagen", bricht Freya das Schweigen. Ich hole tief Luft und bekomme die Worte trotz zitternder Stimme sicher über meine Lippen: "Freya und ich sind seit einer Woche zusammen." Ich werfe beiden einen Blick zu und klammere mich unter dem Tisch an Freyas Hand. Sie ist leicht verschwitzt, aber das ist mir egal. Ihr Vater zieht die Augenbrauen leicht hoch, antwortet aber freundlich: "Schön, ihr beide habt euch schon immer so gut verstanden. Du bist immer hier willkommen, Charlie." Auch Thea lächelt uns an.
    "Ja, auf jeden Fall. Es freut mich, dass ihr euch gefunden habt und zusammen so glücklich seid."
    Ich kann förmlich spüren, wie nicht nur mir sondern auch Freya ein riesiger Stein vom Herzen fällt. Erleichtert atme ich auf und muss auch schmunzeln. Am liebsten würde ich laut los lachen, meine Angst ist komplett verflogen und ich fühle mich einfach nur noch unendlich frei und glücklich.
    Mit fast schon Freudentränen in den Augen nehme ich mir noch eine Portion und wir alle essen glücklich weiter.

    Zurück auf Freyas Bett fragt diese mich, ob wir uns morgen wieder treffen könnten und falls ja, was wir machen wollen.
    "Wir könnten ins Café und danach zu mir nach Hause gehen, wenn du willst. Magst du Mario Kart? Oder irgendein anderes Spiel?", frage ich zurück und schlage meine Beine übereinander.
    "Gerne!", erwidert sie. "Ich habe das aber seit Ewigkeiten nicht gespielt, wunder dich nicht, wenn ich erst ziemlich schlecht bin."
    "Ach Quatsch, sag doch lieber, dass alles Absicht ist und du mich gewinnen lassen möchtest", schlage ich lachend vor.

    12
    Im Café setzen wir uns an den selben Tisch, wie schon am Donnerstag letzter Woche. Wie üblich werden die Gäste, somit auch wir, sehr schnell bedient, weshalb das Café einen zu Recht guten Ruf hat.
    "Was möchten Sie?", fragt die Kellnerin freundlich, die schräg hinter mir steht an Freya gewandt. Nickend notiert sie sich den Eiskaffee. "Und der junge Herr?"
    Ich brauche einen Moment um zu merken, dass ich gemeint bin.
    "Auch. Ich hätte gerne auch einen Eiskaffee", stottere ich halb, während ich eine unbegründete Freude spüre. Wie durch einen Nebel nehme ich die Entschuldigung der Kellnerin dafür wahr, mich für einen Jungen gehalten zu haben. Ich bringe ein "Ist schon gut" hervor, wobei in mir ein komisches Gefühl aufsteigt und ich mir fast schon auf die Zunge beißen muss, um nicht... vor Freude zu lachen? Warum bin ich glücklich darüber, offensichtlich misgendered zu werden? Ich war mir doch sicher, kein Junge zu sein?
    Kaum, dass die Kellnerin sich abgewandt hat, beginne ich ein Gespräch, um meine Gedanken zu vertreiben.

    "Charlie, warte mal kurz", sagt meine Mutter und legt mir die Hand auf die Schulter, als ich von der Haustür zu meinem Zimmer zurück gehe. "Du hast schon mehrfach angedeutet, dass du nicht auf Jungen stehst. Wenn du lesbisch bist, dann sag es mir bitte jetzt."
    "Ich stehe auf Mädchen, ja und? Ändert das jetzt irgendwas?", frage ich als Antwort.
    "Wenn da etwas zwischen dir und Freya ist, ja, definitiv! Du kannst doch nicht einfach eine lesbische Beziehung führen. Such dir lieber einen netten, gleichaltrigen Jungen. Anstatt auch noch ein anständiges Mädchen mit in deine Probleme zu ziehen. Ich habe dir doch meine Hilfe angeboten, die du nicht annehmen wolltest, stattdessen hast du immer abgeblockt! Wir müssen einmal klar darüber sprechen und zwar nicht morgen, nicht nächste Woche, nicht nächsten Monat, sondern jetzt. Ihr zusammen, richtig? Ich hab doch gesehen, wie ihr auf der Couch eben gekuschelt habt."
    "Mama, das geht dich einen scheiß Dreck an! Ich kann sehr wohl mit einem Mädchen zusammen sein, genauso gut wie mit einem Jungen! Sei doch einfach froh, dass ich nicht ungewollt schwanger werden kann. Für mich ist es kein Problem auf Mädchen zu stehen, das liegt nur bei dir. Außerdem darfst du mich nicht als unanständig bezeichnen." Mir läuft eine Träne über die Wange. "Du hast nie versucht, mich zu verstehen. Deine Hilfe war doch auch nur der Versuch, mich als psychisch krank abzustempeln. Ich habe abgeblockt, weil du mich sowieso nicht akzeptierst. Und ich habe Freya in nichts reingezogen! Übrigens sind ihre Eltern im Gegensatz zu dir verständnisvoll! Ich kann verstehen, warum Papa abgehauen ist, wenn ich erwachsen wäre, würde ich das auch tun!"
    Wütend wische ich mir die Tränen aus dem Gesicht, allerdings kann ich die nächsten nicht zurückhalten.
    "Lass mich doch einfach in Ruhe, ich will nichts mehr über Sexualitäten von dir hören!"
    Ich stürme aus dem Raum und schließe mich in meinem Zimmer ein. Ich höre noch, wie meine Mutter zu einer Antwort ansetzt, ich solle doch warten. Nein, ich werde ganz sicher nicht wieder zu ihr gehen und mir anhören, was sie zu sagen hat. Vielleicht ist es das Beste, wenn ich einfach weiterlebe wie bisher - mit ihr nur über belanglose Sachen rede, ihr aus dem Weg gehe und meine Zeit alleine, mit Freunden oder Freya verbringe. Es ist mir mehr als egal, wie verletzt sie sich jetzt stellt. Als würde sie Papa immer noch hinterhertrauern!

    13
    In der 5-Minuten-Pause kommen Julia und Sophie mal wieder zu mir. Ein paar Tische weiter geht Niklas zu Louis, vielleicht um sich zu entschuldigen. Immerhin.
    "Charlie, hattest du eigentlich jemals einen Freund? Also so richtig, du weißt schon, einen festen", fragt Julia mich und grinst.
    "Ja genau!", stimmt Sophie ihr zu. "Wie wäre es mit Dominik, dem aus der c?"
    Genervt verdrehe ich die Augen. Selbst wenn ich an Jungs interessiert wäre, will ich doch nicht einen x beliebigen, nur weil er gerade frei ist und angeblich süß mit mir wäre...
    Julia greift das Gespräch über mich - an dem ich weder beteiligt bin noch beteiligt sein möchte - wieder auf: "Nein, doch nicht Dominik, der passt gar nicht zu Charlie! Was wäre denn mit Niklas?"
    Bis jetzt war mir das ganze relativ egal, aber das kann sie wirklich nicht ernst meinen, bitte nicht. Was sollte ich denn mit ihm, vor allem nach dem in Ethik neulich? Vorher hab ich ihn ja für ganz nett gehalten und wir haben uns sogar ganz gut verstanden, aber jetzt... Zu allem Überfluss scheint Sophie von der Idee auch noch begeistert zu sein. Überglücklich fängt sie an, Shipping-Namen für uns zu erfinden. Niklie. Charlas. Wo bin ich hier nur reingeraten? Ich hasse solche Namen sowieso, aber Charlas ist echt die Kröung.
    "Ich will keinen Freund, okay?", unterbreche ich das Gerede schlussendlich scharf. "Außerdem ist er überhaupt nicht mein Typ."
    "Was magst denn nicht an Niklas? Wie soll dein Traummann sonst sein?", haken die beiden nach.
    "Ich habe jemanden und bin zufrieden, okay? Können wir das Thema damit bitte einfach abhaken?", unterbreche ich die beiden immer gereizter.
    "Aber als ich eben gefragt habe ob du schonmal einen Freund hattest, hast du doch den Kopf geschüttelt oder nicht? ...Oh mein Gott, hast du etwa eine FreundIN?", kreischt Julia plötzlich.
    Neinneineinnein! Mehr als gerne würde ich die Zeit zurückdrehen oder wenigstens jetzt einfach verschwinden. Der erste klare Gedanke den ich wieder fassen kann, ist: Warum bin ich noch einmal mit denen befreundet? Vielleicht, weil ich einfach nicht alleine sein möchte? Na danke auch.

    Den Rest des Tages melde ich mich kein einziges Mal mehr und gucke die meiste Zeit nur in mein Heft. Ich weiß es nicht sicher, aber vermutlich hat mindestens die Hälfte der Klasse unser Gespräch mitbekommen. Jedes mal, wenn ich daran denke überkommt mich von Neuem eine Welle von Scham. Der Moment kreist trotzdem durchgehend in meinem Kopf und ich kann mich auf nichts anderes konzentrieren.
    Noch im Treppenhaus schalte ich mein Handy ein, um Freya zu schreiben. Heute fällt bei Freya die letzte aus, weshalb sie schon Zuhause sein sollte. Ich brauche jetzt jemanden, der mich ernst nimmt, neben all den albernen Klassenkameraden von mir.

    Hey, mir ist vorhin was echt blödes passiert... Meine ganze Klasse weiß jetzt, dass ich mit einem Mädchen zusammen bin 😫 (keine Sorge, die wissen nicht, dass du es bist)

    Leider ist Freya nicht online, also stelle ich mich auf mein Skateboard und mache mich direkt auf den Weg.ü
    Skateboard fahren hat mir schon immer gefallen, aber seit ich kurze Haare habe, fühlt sich der Fahrtwind tausendmal besser an.
    Ich weiß, gleich zwei riesen Klischees.

    In der Wohnung angekommen lasse ich die Tür hinter mir zu fallen und mache mir nicht die Mühe, meinen Rucksack ordentlich abzustellen. Aus der Küche strömt mir der unverkennbare Geruch von Pizza entgegen - natürlich keine vom Italiener, sondern eine aus der Tiefkühlabteilung, wie immer.
    "Charlie! Kannst du bitte den Tisch decken?", ruft meine Mutter mir zu. Mit einem Seufzer gehe ich die wenigen Schritte bis zum Geschirrschrank in der Küche und greife zwei Teller.
    "Ach, und räum gleich nach dem Essen die Spülmaschine aus, ja?"
    "Jaja", antworte ich nur und unterdrücke meinen gereizten Tonfall weitestgehend.

    Am Abend lasse ich mich erschöpft auf mein Bett fallen und schaue noch eben, ob ich neue Nachrichten habe. Inzwischen hat Freya meine Nachricht gelesen und auch geantwortet. Mit einem Lächeln auf den Lippen schreibe ich ihr zurück und merke gar nicht, wie beim Chatten die Stunden vergehen.

    14
    Ich muss mich beeilen, um noch rechtzeitig zum Unterricht zu kommen. Als letztes haste ich in den Raum, die Tür schlägt leise hinter mir zu. Obwohl es schon nach acht Uhr ist, ist keine Spur von unserer Lehrerin zu sehen. Durch ein Fenster weiter hinten flutet gleißendes Sonnenlicht den Raum, so sehr, dass es fast schon diesig wirkt. In der Ecke stehen Julia und Sophie und ich kann ihre Unterhaltung ohne Probleme mitverfolgen.
    "Charlie ist gerade gekommen! Ich dachte schon, sie würde sich verspäten", sagt Julia.
    Irgendetwas in mir verkrampft sich und ich habe den Drang, abzuhauen. Ich öffne die Tür hinter mir und trete in den Hof hinaus. Um mich herum sitzen Massen von Schülern und Lehrern auf den Bänken und sie alle schauen zu mir. Ich laufe los, um so schnell wie möglich hier weg zu kommen. Ich könnte mich einfach in einer Toilette einschließen und abwarten.
    "Schau, die da vorne kann trotz ihrer kurzen Haare so unglaublich weiblich und schön aussehen!"
    "Findest du? Sie ist irgendwie komisch. Zu weiblich für einen Jungen und zu männlich für ein Mädchen."
    In der Zwischenzeit habe ich die Türen erreicht. Aber welche soll ich nehmen? Gehetzt schießt mein Blick hin und her, bis ich schließlich wahllos eine Tür aufstoße, die der Männertoilette.
    "Ich denke, du bist im falschen Raum, Süße!", schreien mir die Leute von allen Seiten zu. Die Rufe verschwimmen mit dem Lachen zu einer anschwellenden Masse, die sich immer schriller in mein Gehör brennt. Mein Schädel fängt an zu pochen, alles dreht sich und ich muss verzweifelt meine Hand nach dem Waschbecken ausstrecken, um nach Halt zu suchen. Doch sobald ich mich von der Tür löse, breche ich zusammen und lande unsanft auf den harten Fliesen unter mir.

    Vollkommen müde und hauptsächlich genervt rapple ich mich schließlich auf und lehne mich an mein Bett. Ich muss den Wecker beim lächerlichen Versuch ihn auszuschalten versehentlich im Halbschlaf von der Ablage gefegt haben. Also habe ich mich nach ihm ausgestreckt und bin selber auch auf den Boden gefallen. Was für ein toller Start in den Tag. Ich habe ein Gefühl, als wäre etwas schlimmes passiert, aber ich weiß nicht, was. Vielleicht habe ich schlecht geträumt?
    Zu allem Überfluss sind alle meine Hoodies in der Wäsche und so muss ich die taillierte Jacke anziehen, damit mir warm genug ist. Ich fühle mich fürchterlich unwohl und erwische mich mehrfach dabei, wie ich unbewusst auf meinen Brüsten herumdrücke oder meine Arme vor ihnen verschränke.

    Möglichst schnell mache ich mich fertig, um dann direkt das Haus zu verlassen. Letzten Endes bin ich viel zu früh, sogar obwohl ich verschlafen habe.
    Hinter den Häusern färbt sich der Himmel erst langsam in einem kalten lila. Mein Atem bildet kleine Wölkchen, während ich den Bürgersteig entlang fahre. Es ist so schön und friedlich, aber innerlich herrscht ein reinstes Chaos. Irgendwie fühlt sich alles falsch an - ich fühle mich weder weiblich noch geschlechtslos. Vielleicht kann ich es einfach nicht einordnen.
    Es ist noch so früh am Morgen, dass die Sonne nicht einmal richtig aufgegangen ist und ich bin dementsprechend ziemlich müde. Anstatt noch eine kleine Runde zu drehen, setze ich mich allerdings auf eine der Bänke vor der Schule und warte ab, bis es zum ersten mal läutet.

    Im Chemieunterricht höre ich kaum zu und starre mehr durch die Tafel hindurch, als auf die angeschriebenen Formeln. Meine Gedanken kreisen durchgehend um mein Geschlecht, obwohl ich versuche nicht darüber nachzudenken. Irgendwie wäre ich zufrieden, wenn mich jemand als einen Jungen bezeichnen würde. Tief in mir drin ist es richtig, aber eigentlich kann das doch nicht sein. Immerhin bin ich girlflux und nie männlich. Bestimmt habe ich einfach nur Hormonschwankungen. Von Hormonen, die ich nicht haben sollte! Ich will kein Östrogen, keine Gestagene, sondern Androgene wie Testosteron...
    "Alles okay, Charlie?", fragt Sophie mich leise und klingt dabei ehrlich besorgt. Ich nicke nur und versuche, irgendwie glücklich und selbstbewusst auszusehen und dabei weiterhin meine Oberweite zu verdecken. Ich senke meinen Blick etwas, um der Lehrerin nicht zu sehr in die Augen zu schauen. Dabei fällt mein Blick auf den Tisch in der Reihe vor uns, an dem Niklas sitzt und etwas in seinen Block kritzelt. Er beugt sich so weit über das Papier, dass ich erst nichts erkennen kann, doch dann bewegt er seinen linken Arm und gibt mir so unbewusst den Blick frei. Ich bin überrascht, von dem, was ich sehe. Es sind keine Notizen, sondern eine extrem gute Zeichnung. Von... Louis?
    "Was guckst du?", fragt Sophie mich plötzlich.
    "Was?", frage ich zurück. "Ich hab nur nachgedacht."
    Sie zieht ungläubig die Augenbrauen hoch.
    "Komm schon, du denkst doch nur über deine Freundin nach, nicht wahr? Ist irgendetwas passiert?"
    Mit einem teils abwehrenden und teils schockierten Kopfschütteln Räume ich ihren Verdacht aus dem Weg und erkläre dann, dass alles gut ist. Was im Grunde stimmt, denn zwischen mir und Freya läuft es super, wir haben auch schon unser nächstes Date vereinbart.
    Nur kenne ich mich selbst nicht mehr. Wenn mein Geschlecht sich ändert - was ja der Fall ist - und ich dabei verschiedene Gender habe, bin ich ja genderfluid, das ist mein richtiges Label. Oder besser gesagt, es sollte mein Label sein, denn die Definition passt. Andererseits fühlt es sich so falsch an, nur kenne ich keinen besseren Begriff, außer vielleicht einfach nonbinary. Warum kann ich nicht einfach weiblich sein? Oder ein komplett binärer und statischer trans Junge. Falls man das so sagen kann. Ich könnte eine Transition machen und dann für immer glücklich leben... Wenn es denn so einfach wäre.
    Unauffällig linse ich wieder zu Niklas herüber, doch seine Schulter versperrt mir inzwischen die Sicht. Entweder habe ich mich verguckt und er hat gar nicht Louis gezeichnet, oder ich blicke gar nicht mehr durch, wie generell in meinem ganzen Leben. Warum sollte er auch Louis malen?

    15
    Unser Politklehrer lässt uns heute erstaunlicherweise pünktlich gehen, anstatt zu überziehen. Als ich daran denke, dass Freya gleich mit zu mir nach Hause kommt, schleicht sich ein Lächeln auf meine Lippen und mein Herz schlägt höher. Meine Mutter kommt erst spät, also haben wir einige Stunden für uns.
    "Hast du gleich ein Date oder warum bist du so glücklich?", fragt Julia mich lachend.
    "Ach, ich habe einfach nur ausnahmsweise mal ein paar Stunden sturmfrei. Meine Mutter kann auf die Dauer ein bisschen nervig werden", antworte ich. Ich habe jetzt nicht den Nerv dazu, über alle möglichen unwichtigen Details über mein tatsächlich doch stattfindendes Date ausgequetscht zu werden.

    Ich kann es kaum erwarten, dass Freya endlich ankommt und als sie klingelt, entsperre ich die Tür so schnell wie noch nie. Mit einem Lächeln erwarte ich sie an unserer Tür. Freya umarmt mich zärtlich zur Begrüßung, was ich ohne zu zögern erwidere. Dann gehen wir Hand in Hand in die Küche, wo ich bereits die Zutaten und ein Backbuch bereit gelegt habe.
    "Und, was für einen Kuchen wollen wir machen?", fragt Freya und schmiegt ihren Kopf an meine Schulter. Wenn wir eine Regenbogentorte machen, haben wir sie wenigstens für uns, schießt es mir durch den Kopf, aber ich verscheuche den Gedanken ganz schnell wieder. Stattdessen schlage ich vor: "Wie wäre es mit einem Marmorkuchen?"
    Auf ein zustimmendes Nicken von Freya hin schlage ich das Buch auf Seite 53 auf.
    "Zuerst brauchen wir 250 Gramm Butter und 200 Gramm Zucker", lese ich vor und drehe mich dem Kühlschrank zu.
    "Wollen wir eigentlich beim Backen Musik hören?", frage ich.
    "Ja, gerne! Ich schalte einfach das Radio an, ja?", antwortet Freya unverzüglich. Mit einem bestätigenden Nicken nehme ich zwei Stücke Butter, das eine werden wir nur zum Einfetten der Form benötigen. Außerdem lege ich und fünf Eier und die Milch neben mich auf die Ablage.
    "Oh, she's sweet, but a psycho, a little bit psycho", tönt es aus dem Radio, während wir uns daran machen, den Teig anzurühren. Als wären wir perfekt abgesprochen, machen wir alles zusammen und noch nie hat Backen mir so viel Spaß bereitet. Die Zeit vergeht wie im Flug und schon bald ist der Kuchen im Ofen.
    Geschafft lächle ich Freya zu.
    "Der Kuchen muss 50 Minuten backen. Wir könnten solange aufräumen", sagt sie und damit definitiv Recht.

    Ich stelle die Teigschüssel als letztes in die Spülmaschine und wasche mir schnell die Butterreste von den Fingern. Noch 30 Minuten, bis der Kuchen fertig ist.
    "Freya? Ich muss dir was sagen", setze ich stockend an, während mein Puls spürbar nach oben geht. "Ich glaube, ich bin nicht wirklich weiblich, sondern nonbinary. Das- das macht dir doch nichts aus, oder? Ich meine, du magst doch Personen von allen Geschlechtern."
    Ich höre mein Blut in den Ohren rauschen und spüre die schnellen Schläge in meiner Brust.
    Als ich meinen Blick vorsichtig hebe und in ihr Gesicht schaue, lächelt sie mich warm an. "Natürlich macht mir das nichts aus! Ich habe tatsächlich sogar eine Präferenz für nicht-binäre Menschen", sagt sie lachend. "Ich liebe dich und das wird auch so bleiben, keine Sorge." Erleichtert atme ich auf.
    "Eine Frage: Welche Pronomen soll ich für dich verwenden?"
    Darauf weiß ich keine eindeutige Antwort. Eigentlich irgendwas geschlechtsneutrales, so wie dey oder em. Oder meinetwegen auch einfach er, das ist schon mal besser als sie. Andererseits würde Freya mich damit ja im Grunde bei anderen outen und ich fühle mich noch nicht ganz bereit dazu, es dem ganzen Jahrgang zu sagen.
    "Wenn du mit Leuten aus der Schule redest, dann sag einfach weiterhin sie, ich will mich nicht erklären müssen... Wenn ich irgendwann vor anderen Personen geoutet bin, dann wohl eher andere Pronomen, ich bin mir aber noch nicht ganz sicher welche, ja?"
    "Ja, natürlich, alles gut. Komm mal her", sagt sie und umarmt mich. Dankbar schmiege ich mich an Freya. Ich hatte so große Angst, sie würde mich nicht akzeptieren, weshalb auch immer.
    Wir stehen noch lange so da, bis sich das Gefühlschaos in mir langsam wieder legt.

    Schließlich ist auch die Backzeit des Kuchens vorbei.
    Mit übergestreiften Backhandschuhen trägt Freya die Form zum Tisch und stürzt den Kuchen relativ geschickt auf den großen Teller, den wir bereitgelegt haben.
    Glücklich lasse ich die Klappe des Backofens zuschnappen und wende mich ihr anschließend zu. Ich schaue in Freyas grünen Augen und fühle mich genauso verzaubert wie vor zwei Wochen. Während ich ihr einen kleinen Kuss gebe, verschwimmt die Hintergrundmusik mit dem Brummen von dem Kühlschrank und der rauschenden Belüftung des Backofens. Der kleine Kuss wird immer länger und intensiver. Für einen kleinen Moment sind wir wie in einer anderen Realität und so hören wir beide weder, wie der Schlüssel im Türschloss gedreht wird, noch die sich nähernden Schritte im Flur. Erst, als ich mich wieder von ihr löse, sehe ich meine Mutter, schockiert und mit einer Einkaufstasche in der Hand in der Tür stehen. Wie automatisch greife ich nach Freyas Hand, als suchte ich bei ihr Schutz.
    "Wir... haben Kuchen gemacht", stammle ich. Die Zeit scheint einzufrieren, bis meine Mutter den Mund erst öffnet und dann wieder schließt. Langsam nickt sie.
    "Na schön. Freya, wenn du willst kannst du noch hier bleiben, dann können wir den Kuchen alle zusammen essen - falls ihr damit einverstanden seid."
    Im Augenwinkel sehe ich, wie Freya nickt und ich bin froh darüber, dass sie noch etwas bei mir bleibt.

    Schweigend teile ich kleine Krümel von meinem Kuchenstück ab und schiebe sie mir mit der Gabel in den Mund. Es ist totenstill am Tisch und das macht mir Angst. Ich kann nicht einschätzen, wie meine Mutter reagieren wird, sobald Freya gegangen sein wird.

    Zum Abschied drückt Freya mich fest und schaut mich einmal kurz an, wobei in ihrem Gesicht definitiv Sorge steht. Ich habe auch etwas Angst vor der Reaktion meiner Mutter, aber etwas schlimmeres als eine hitzige Diskussion erwarte ich eigentlich nicht - physisch verletzen würde sie mich nie und psychisch wenigstens nicht gewollt.
    "Bis morgen", sage ich.
    "Ja, bis dann." Für einen Augenblick bleibt Freya noch stehen, dann verlässt sie die Wohnung. Ich schaue ihr nur kurz hinterher, wie sie die Treppen hinabsteigt. Dann lasse ich die Tür zufallen und drehe mich zu meiner Mutter.

    16
    "Charlie, ich will ja eigentlich nur, dass du glücklich bist. Seit ihr zusammen seid, bekomme ich dich kaum noch zu Gesicht und wenn doch, wirkst du immer enorm bedrückt. Ich mache mir Sorgen, dass du gemobbt werden könntest, weil du anders bist. Und dass das vielleicht alles meine Schuld ist, weil ich etwas falsch gemacht habe", sagt meine Mutter zu mir, kaum dass Freyas Schritte verhallt sind. Sobald die Worte anders und falsch ihren Mund verlassen haben, fühle ich wie einen Stich in meinem Herzen, der mich zur Verzweiflung treibt.
    "Das einzige was du falsch machst ist, mich einfach nicht zu akzeptieren! Ich wäre glücklich, wenn du mich mein Leben in Frieden leben lassen würdest, wie ich möchte. Ich bin nicht komisch, sondern ganz normal, egal ob andere das sehen können oder nicht. Und Freya und ich lieben uns, das kannst du nicht verbieten."
    "Charlie..." Sie seufzt. "Weißt du, als ich mit Papa zusammen gekommen bin, meinten meine Eltern, er würde mir nicht gut tun. Ich war ja schon über zwanzig und dachte darum, ich wüsste es besser. Und dann ist alles schief gelaufen, er hat sich kaum gekümmert und ist schließlich abgehauen, wie du weißt. Ich will nicht, dass du den gleichen Fehler machst wie ich und dich in eine Beziehung stürzt, die dir nicht gut tut. Gerade mit einem Mädchen, am Ende könntest du auch noch deine ganzen Freunde verlieren."
    Mir schießen tausende boshafte Antworten durch den Kopf, wie zum Beispiel: Ich würde ja nicht gleich eine Familie in die Welt setzen, um die ich mich dann doch nicht sorgen kann. Oder, ich würde, nur weil meine Mutter ihr Leben nicht auf die Reihe bekommt, nicht zwangsläufig auch auf voller Länge versagen.
    Aber mir ist bewusst, wie sehr ich die Situation verschlimmern würde - mal ganz abgesehen davon, dass es ganz sicher nicht ihre Schuld war, dass Papa uns verlassen hat. Ich bin wütend und würde sie am liebsten anschreien, gleichzeitig ist sie selber auch nur verletzt und hat Angst um mich, also sollte ich mich wohl etwas zurückhalten.
    "Es ist doch nichts schlimmes, mit einem Mädchen zusammen zu sein", entgegne ich. Trotzdem, ganz vorbei kommen wird sie nicht an einer bissigen Antwort. "Und meine Freundinnen, die übrigens deutlich toxischer sind als meine Beziehung, sind auch vollkommen okay damit. Weißt du, die Jugend von Heute ist nicht mehr ganz so verklemmt wie im letzten Jahrtausend alle waren. Ich ziehe Freya auch nicht in irgendwelche Probleme rein, die deiner Fantasie entspringen, sie ist nur einfach immer für mich da, wenn ich sie brauche. Und... du meintest doch neulich noch, dass die Pubertät zum Ausprobieren und Entdecken da ist."
    "Ja, im Grunde hast du ja Recht, ich mache mir doch nur Sorgen, Charlie. Wenn irgendetwas ist, du unglücklich bist oder doch Probleme hast, dann komm zu mir, ich bin für dich da."
    Sie macht einen Schritt auf mich zu und nimmt mich in die Arme. Zögerlich erwidere ich die Umarmung und vergrabe mein Gesicht in ihrer Schulter.
    Leise sagt meine Mutter: "Ich habe mich außerdem ein bisschen informiert, über Geschlechter und so. Ich verstehe es nur trotzdem nicht ganz, magst du mir genauer erklären, wie du dich fühlst? ...Oder - wie du bist?"
    "Also, das ist ein bisschen komplizierter", flüstere ich, während meine Augen feucht werden. "Du fühlst dich ja als Frau, richtig? Und Opa ist ein Mann. Aber es gibt auch Leute, die sich als beides identifizieren können, oder als keins von beiden so richtig, die Leute sind dann nonbinary. Und... bei manchen ändert sich das auch, aber das ist dann keine Phase oder so. Ich-" Ich schlucke und atme einmal durch. "Ich bin kein Mädchen, sondern nonbinary. Manchmal bin ich ein bisschen Mädchen, aber manchmal auch etwas anderes. Ich möchte nicht als Mädchen wahrgenommen werden."
    Inzwischen laufen mir die Tränen in Strömen über das Gesicht und meine Stimme wird immer zittriger. "Ich bin keine junge Frau, sondern einfach ein Mensch. Ich bin nicht deine Tochter, sondern einfach dein Kind. Und ich bin auch keine Sie. Weißt du, seit ich denken kann schieben mich alle Leute durchgehend in eine Rolle, die mir gar nicht entspricht! Ich dachte jahrelang, jeder würde sich fühlen, als wäre man komplett fehl am Platz, einfach falsch. Aber anscheinend gibt es Leute, die deren Pronomen und Körper richtig finden. Ich wusste bis neulich gar nicht, wie sich das anfühlt."
    Ein kleiner, verzweifelter Laut entringt sich meiner Kehle, halb Lachen, halb Schluchzen.
    "Wenn du- Welche Pronomen soll ich denn dann für dich nehmen?"
    "Ich weiß nicht, vielleicht er? Oder dey? Em? Im Deutschen ist das alles so kompliziert. Könnten wir sonst ein bisschen ausprobieren, was am besten passt?"
    "Ja, du musst mir aber erklären, wie ich diese dey und em Pronomen verwende. Und ich verstehe noch nicht ganz, wie du dich als etwas anderes als männlich oder weiblich fühlen kannst - Ich kann es mir einfach nicht vorstellen", sagt sie.
    "Ich glaube, das geht auch nicht so einfach. Du kannst ja auch keinem Farbenblinden erklären, wie rot aussieht. Aber der kann ja trotzdem verstehen, dass es rot gibt und rote Erdbeeren auch trotzdem mögen, oder? Und was die Pronomen angeht, ich kann dir ja mal so Beispielsätze aufschreiben oder so."
    "Stimmt. Weißt du Charlie, ich liebe Erdbeeren. Und ich liebe dich."

    17
    Niklas' PoV

    Sieben mal schlug die lächerliche Kuckuksuhr im Wohnzimmer und brach damit die Stille in der Wohnung. Niklas' Mutter hatte die Uhr letztes Jahr gekauft, weil sie das Stück Kitsch angeblich wunderschön fand. Er hingegen war ausschließlich genervt von dem kleinen Holzvogel, welcher Stündlich von dumpfem Läuten begleitet aus dem Haus schaute.

    Seufzend zog er seinen Collegeblock aus dem Rucksack und schlug ihn auf, um sich an die Hausaufgaben zu machen. Doch auf der ersten Seite lag lose die Zeichnung aus dem Chemieunterricht vor ihm und blickte ihn stumm an. Sofort musste er an die letzte Woche denken.
    Er war sich selbst nicht vollständig sicher, weshalb er Louis während Ethik als schwul bezeichnet hatte, zumindest sagte er sich das - sicher war nur, dass es ein Fehler gewesen war. Zwar wusste Niklas nun, dass Louis wirklich schwul war, doch was hatte dabei verloren? Louis gesamtes Vertrauen in ihn, sofern es denn vorher existiert hatte?
    Welchen Grund hatte er gehabt, war es, um die Unsicherheit über seine eigenen Gefühle zu überspielen? Gar nicht so unwahrscheinlich. Es war einfach so über seine Lippen gekommen, aus Emotionen heraus die er selbst kaum benennen konnte.
    Ohne es beabsichtigt zu haben, kreisten seine Gedanken immerzu um die gleichen Fragen. Er würde diese sicher nie laut aussprechen, doch... War er vielleicht wirklich schwul?
    Nein, dass konnte nicht sein. Nur, weil er Schuldgefühle wegen Ethik hatte, bedeutete das noch lange nicht, er würde verliebt sein, bestimmt waren es rein platonische Gefühle, wenn überhaupt. Er wartete sowieso nur auf die Richtige. Und selbst wenn - falls - er, rein hypothetisch, Gefühle hätte, so hieße das doch auch nicht, dass er zwangsläufig schwul sei. Schließlich war doch jeder ein bisschen bi. Und jeder hatte doch so eine Phase, mit vierzehn oder fünfzehn Jahren.
    Das sagte er sich, schon seit etlichen Monaten. Er konnte sich kaum auf etwas konzentrieren, abgesehen von den ewigen Zweifeln über seine Gefühle. Was war er?

    Er schüttelte den Kopf, um die Gedanke zu vertreiben und wandte sich von der Zeichnung auf seinem Schreibtisch ab. Louis konnte ihm gestohlen bleiben.

    Warum, warum würdest du Louis denn zeichnen, wenn er dir egal wäre, hm?, schoss es ihm durch den Kopf.
    Aus Langeweile. Weil er halt ganz nett aussah. Um zeichnen zu üben. So viele mögliche Gründe, vielleicht auch, um es ihm zur Entschuldigung zu geben. Nein, das war albern. Im Prinzip wusste er ja die Wahrheit, nur hoffte ein Teil ihn ihm, es würde nicht so sein.

    Ein Laut der Verzweiflung verließ seine Lippen und er ließ sich rücklings auf das Bett fallen. Es konnte so nicht weitergehen, es musste mit jemandem reden. Seine Vernunft sagte ihm klar und deutlich, dass er am besten Louis alles erklären sollte, denn es würde alles aufklären und zu verlieren hatte er nicht mehr wirklich etwas. Andererseits war er sich nicht sicher, ob er schon bereit dafür sei.
    Warum musste all das passieren und dann auch noch ausgerechnet ihm?

    18
    Auf dem Schulweg lasse ich in Gedanken den gestrigen Tag revue passieren. Das ganze Gespräch mit meiner Mutter kommt mir derart surreal vor, dass ich ein Gefühl habe, als würde ich jeden Moment aufwachen und alles wäre nur ein schöner Traum gewesen.
    Ich meine, das Gespräch mit meiner Mutter gestern hat meine Erwartungen bei Weitem übertroffen! Im Grunde kann ich ja sogar etwas verstehen, was ihre Sorgen waren und warum, auch wenn sie natürlich unbegründet sind. Ich bin so erleichtert, dass sie mich akzeptiert und mich jetzt doch unterstützen möchte. Vielleicht kann ich sie nachher sogar nach einem Binder fragen, in wenigen Monaten habe ich sowieso Geburtstag.
    Schwungvoll stoße ich mich von dem Asphalt ab und genieße, wie das Skateboard unter meinen Füßen über den Boden gleitet. Ich nehme einen tiefen Atemzug der kalten Morgenluft, der sich beim Ausatmen mit den dünnen Nebelschwaden vermischt, die auf den Vorgärten zu meiner Rechten liegen. Jeder einzelne Grashalm ist mit zartem Raureif gesäumt, welchen die ersten Sonnenstrahlen in feine Tauttopfen verwandeln.
    Es ist so wunderschön und entspannend, frühmorgens durch die Kälte zu fahren. Auch als mich noch viel mehr Probleme belastet haben als jetzt, hat es mir immer so ein ruhiges Gefühl gegeben.

    Der Unterricht zieht an mir vorbei, ohne dass ich wirklich etwas mitbekomme. Zwar melde ich mich sowohl in Spanisch als auch in Englisch ein paar Mal, bin mit meinen Gedanken jedoch abwesend. Freya ist heute nicht da, sondern mit ihrer Klasse auf einem Ausflug, leider.

    Ich schlucke meine Angst mühsam herunter und klopfe an die Zimmertür meine Mutter. Was soll schon passieren? Selbst wenn sie Nein sagt, habe ich es wenigstens versucht.
    "Mama, ich wollte noch einmal mit dir reden."
    Sie dreht sich zu mir. "Natürlich, was ist?"
    "Die Sache ist die, dass ich mich in meinem Körper ja nicht... richtig fühle", sage ich, gehe in den Raum und setze mich auf ihr Bett. "Ich meine, so wie ich aussehe werde ich durchgehend in die Kategorie weiblich gesteckt und das bin ich nunmal nicht, wie du weißt. Manche Leute machen eine geschlechtsangleichende OP, aber das will ich auch nicht, weil ich mich manchmal wohl fühle und ich möchte mich außerdem sowieso nicht dauerhaft verändern."
    Meine Mutter nickt, wobei sie so aussieht, als würde sie noch versuchen den Haken an der Sache zu finden.
    "Es gibt wie so Kleidungsstücke, die den Oberkörper flach machen, weißt du? Das Gegenteil von einem Push-Up-BH sozusagen", setze ich wieder an. "Ich hätte gerne so einen Binder, den kann ich dann einfach anziehen, wenn ich mich unwohl fühle."
    "Okay, wenn dich das glücklich macht, wieso nicht. Aber pass auf dich auf und wenn dir jemand blöd kommt, sag Bescheid, ja?"
    "Echt?", frage ich ungläubig. "Du... du würdest mir einen Binder zum Geburtstag besorgen? Danke!"
    Ich falle meiner Mutter in die Arme und schmiege mich fest an sie.
    "Natürlich würde ich dir so ein Teil kaufen, ich möchte doch auch nicht mehr, als meine To- mein Kind glücklich zu sehen."
    "Danke, Mama."
    "Dafür sind die Eltern doch da, um ihre Kinder fröhlich zu machen, oder?"
    "Ich- Ich dachte nur, du würdest das vielleicht komisch finden oder mich nicht verstehen und mir darum keinen kaufen wollen oder so."
    "Ach Schatz. Hatten wir nicht schon beschlossen, dass ich nicht alles verstehen muss, um dir zu helfen?"

    Zurück in meinem Zimmer suche ich Freyas Kontakt, um sie anzurufen. Zum Glück nimmt sie direkt ab.
    "Hallo Charlie! Alles gut?", ist das erste, was ich von ihr höre.
    "Ja, alles super!", antworte ich, ich bin noch immer so euphorisch, dass ich vor Freude durch die Gegend springen könnte. "Ich habe gestern noch mit meiner Mutter geredet und alles ist perfekt gelaufen! Sie unterstützt mich! Du hattest die ganze Zeit Recht, dass sie nur etwas Zeit und Gespräche braucht."
    Ich halte kurz inne, um einmal tief durchzuatmen bevor ich weiterspreche. "Ich war gerade noch einmal bei ihr und sie schenkt mir zum Geburtstag einen Binder. Ich kann gar nicht sagen, wie glücklich ich bin", schluchze ich und fahre mir durch die Haare. "Und Freya, hättest du am Samstag vielleicht Lust, dich mit mir zu treffen?"
    "Ja, auf jeden Fall! Und ich freue mich total für dich. Hast du eigentlich irgendwelche Wünsche, oder soll ich dich einfach überraschen?"

    19
    Niklas' PoV

    Er hatte es irgendwie fertig gebracht, Louis anzusprechen und jetzt alleine mit ihm zu sein. Hinter dem Gebäude war ein kleiner Platz, wo nur selten jemand war. Wären da nicht die leeren Getränkedosen, könnte der kleine gepflasterte Fleck zwischen den Büschen sogar ganz lauschig sein.
    Sein Herz schlug noch schneller als zuvor, obwohl es schon lange raste. Er atmete tief ein und begann dann leicht unsicher das Gespräch: "Also, ich wollte eigentlich nur, dass du weißt, dass das in Ethik wirklich nicht so gemeint war."
    Das war nicht ganz, was er vorhatte zu sagen, verdammt.
    Genervt schaute Lousi ihn an. "Können wir das nicht einfach mal vergessen? Immer reden alle über Das in Ethik und du kommst gefühlt jede Pause angerannt, um dich zu entschuldigen. Ja, es war scheiße von dir, aber es reicht auch mal wieder, okay?"
    Louis' Worte taten weh zu hören. Alles lief falsch, nichts wie geplant. Zugegebenermaßen hatte er nicht wirklich einen Plan gehabt, jedoch wäre er definitiv nicht gewesen, Louis auf die Nerven zu gehen. Und dann kam die Frage, vor der Niklas am meisten Angst hatte und doch ein wenig auf sie gehofft hatte: "Nur eine Sache - wie meintest du es denn, wenn nicht als Beleidigung?"
    "Es ist einfach so aus mir raus gerutscht, ich hätte nie gedacht, dass du wirklich schwul sein könntest... Das klingt jetzt dumm, aber ich wollte es wirklich nur wissen!"
    "Und warum fragst du nicht einfach? Übrigens braucht es dich auch gar nicht zu interessieren, was für eine Sexualität andere Leute haben!"
    "Warte, bitte", sagte Niklas verzweifelt, als Louis zum Gehen ansetzte. "Es war dumm von mir, ich weiß. Ich hätte wohl fragen sollen, oder besser gar nichts machen sollen. Es ist nur - ich war an dem Tag nicht so gut drauf, eigentlich mag ich dich total gerne."
    "Freundschaftlich oder wie?"
    "Nein - also doch, eigentlich schon. Ich bin mir nicht ganz sicher."
    Verdammt. Was redete er da? "Vielleicht... können wir das Ganze erstmal vergessen? Wenn du willst? Ich wollte es nur einmal richtig klären."
    "Meinetwegen. Und", er machte eine kurze Pause. "Ich find's an sich gut, dass du von dir aus zu mir gekommen bist."
    "Okay, dann... Danke? Und bis gleich."
    "Ja, bis gleich in Mathe."
    Louis lächelte Niklas schief an. Er hielt kurz inne, als überlegte er, was er tun sollte und wandte sich dann dem Weg zur Mensa zu.

    20
    Den ganzen Vormittag über schaue ich ständig zur Uhr, ob der Zeiger endlich auf der Vier steht. Da Freya vorher noch aufräumen muss, können wir uns leider erst nachmittags treffen.
    Als sie schließlich an der Tür klingelt, bin ich umso fröhlicher. Ich umarme sie direkt, glücklich, dass wir den heutigen Abend zusammen verbringen können.
    "Hallo Freya, schön, dass du gekommen bist!", begrüßt meine Mutter sie. "Ich wollte mich noch einmal für mein Verhalten am Mittwoch entschuldigen, ja?"
    "Von meiner Seite aus ist alles in Ordnung, danke", sagt Freya leicht unsicher, während sie ihre Jacke aufhängt.
    "Ja, an sich hat es sich auch geklärt, nur dass du es weißt, du bist hier selbstverständlich immer willkommen. Falls du möchtest, es sind übrigens gerade zwei Pizzen im Ofen. Eine Margherita und eine Funghi, sollten jeden Moment fertig sein."
    "Gerne, Pizza ist immer gut", lächelt Freya.
    Dann gehen wir in die Küche, wo ich bereits den Tisch gedeckt habe - Was tut man nicht alles, um sich langweile Wartezeit zu vertreiben?
    Das schrille Piepen der Eieruhr lässt meine Mutter aufschrecken. Sie holt die beiden Bleche Pizza aus dem Ofen und stellt sie auf die Untersetzer auf dem Tisch.
    Ich greife nach dem Messer, um sie in Stücke zu schneiden. In einer der Schubladen liegt zwar auch so ein Pizzaroller - oder wie auch immer diese komischen Kreissägenmesser heißen -, aber im Grunde handelt es sich dabei nur um ein überteuertes stumpfes Stück Blech.
    Meine Mutter streift die Backhandschuhe ab und setzt sich auch an den Tisch.
    "So. Habt ihr zwei eigentlich noch Pläne für heute Abend? Falls ihr einen Film gucken wollt oder so, möchte ich euch ja nicht stören."
    "Wir haben nicht viel vor, vielleicht setzen wir uns in mein Zimmer und reden oder so. Und wir wollten noch etwas im Park spazieren gehen."
    "Um halb sechs wird es es schon dunkel, dann solltet ihr vielleicht lieber gleich nach dem Essen gehen, Charlie."
    "Gut, wenn du meinst, Mama..."
    "Naja, wenn die Sonne erst untergegangen ist, wird es ja sowieso nur noch kälter als eh schon, viel zu spät werden wir wohl nicht draußen rumlaufen wollen", sagt Freya.
    "Ja, ist ja gut, ihr seid ja auch schon groß."
    "Mama...!" Leicht peinlich berührt beiße ich in meine Pizza, um dem weiteren Gespräch aus dem Weg zu gehen.

    Hand in Hand schlendern wir durch den Park und ich bilde mir ein, trotz der Handschuhe die von Freyas Hand ausgehende Wärme zu spüren. Die Dämmerung ist bereits hereingebrochen und die untergehende Sonne färbt den Himmel ist einem Spektrum von pfirsichfarben bis hin zu einem tiefen Lila. Die Luft ist kühl, sodass unser Atem feine Wölkchen bildet. An den Wegesrändern gehen nacheinander die Straßenlaternen an und tauchen die Landschaft in ein warmes, gemütliches Licht.
    Vor gerade einmal zwei Wochen sind Freya und ich zusammengekommen, doch egal wie übertrieben es sich anhört, es fühlt sich an, als hätten wir bereits unser halbes Leben als Paar verbracht.
    Ich bleibe stehen, wende mich lächelnd Freya zu und wie automatisch fallen wir uns in die Arme. In einem erst vorsichtigen, dann immer sicherer werdenden Kuss treffen unsere Lippen aufeinander. Alles fühlt sich unwirklich an, aber auf eine schöne Art, als würden wir in einer Wolke aus Freude schweben. Abermals ist es, als gäbe es nur noch uns beide auf der Welt.

    21
    Nachwort oder so

    Ich habe schon mehrere Fanfiktions geschrieben, die meisten aber leider nie fertig gestellt. Abgesehen von einer Fantasygeschichte aus meiner Grundschulzeit ist das hier meine erste, eigenständige Geschichte - und auch meine erste Liebesgeschichte überhaupt (normalerweise ist das nicht mein Genre). Ziemlich schnell habe ich bemerkt, dass mir Spannung und Fantasy einfach viel mehr Spaß macht zu schreiben, ich hoffe, das ist nicht zu auffällig. Trotzdem war und ist diese Geschichte ein unglaublich wichtiges und schönes Projekt für mich und ich bin unglaublich froh, sie hier veröffentlichen zu können. Ich bin kein Autor oä., sondern nur ein Schüler mit ein bisschen Kreativität und Langeweile, daher ist das hier keine professionelle Arbeit. Alles was ich über das Schreiben weiß habe ich mir selbst beigebracht.

    Diese Geschichte habe ich Anfang Mai hauptsächlich für mich selbst begonnen, um meine Gefühle und Gedanken zu ordnen und mich wohl auch auf mein Coming Out vorzubereiten. Während des Schreibeprozesses habe ich mich bei meiner besten Freundin und ca. zwei Wochen später zufällig auch bei ein paar Klassenkameradinnen als nicht-hetero geoutet - alle Reaktionen positiv. In den Monaten danach hatten wir noch einmal ein Gespräch, wo wir Sexualitäten etwas ausführlicher thematisiert haben. Und dann habe ich mich sogar getraut, mich vor meinen Eltern als pansexuell zu outen, als was ich mich inzwischen identifiziere. Im Oktober hatte ich schließlich genug Selbstvertrauen, um meiner BF zu sagen, nonbinary zu sein. Kurz danach habe ich mir ein Instagramprofil erstellt und in meine Bio "any pronouns" geschrieben, ich wurde (wie geplant ^^) drauf angesprochen, und zwar mega supportive. Im November habe ich mich dann bei meiner Mutter als genderfluid geoutet und etwas später nach einem Binder gefragt.

    Charlie hat sich mit mir entwickelt und ich mich mit dem, was auch etwas meine Intention hinter dem Ganzen war. Außerdem möchte ich aber allen Interessierten etwas Unterhaltung bieten und - natürlich - mehr auf das Thema LGBTQIA+ aufmerksam machen.

    In die Gestaltung der Hauptperson (Charlie) habe ich einige von meinen Eigenschaften einfließen lassen. Die Gefühle über deren Geschlecht (Euphorie und Dysphorie), Sexualität, Buzzcut, etc. habe ich aus eigener Erfahrung beschrieben. Der erste Kuss hingegen ist so, wie ich es mir vorstellen würde. Und die Liebe... nunja, ich bin wohl aroflux, es ist etwas kompliziert. Die Reaktion von Charlies Mutter habe glücklicherweise auch nicht so erlebt. Trotzdem kann ich mir vorstellen, dass es in vielen Familien sicher zu so etwas kommt, dadurch wird es aber nicht besser oder sogar richtiger!

    Ich persönlich bin für Coming Outs, aber natürlich muss sich niemand outen, dass möchte ich auch gar nicht vermitteln. Wir haben noch einen weiten Weg vor uns, bis alle Sexualitäten und Gender gleich angesehen werden und keins mehr das "normale" ist. Es fehlt noch viel Akzeptanz und Toleranz, aber definitiv auch Aufklärung. Meiner Meinung nach hilft es, wenn möglichst viele sich outen, auch cishets, und das Thema damit normalisieren.
    Und irgendwann leben wir dann vielleicht in einer Gesellschaft, in der es keine Vorurteile gibt, wie zum Beispiel Homosexuelle aussehen würden etc. Vielleicht wird es irgendwann so sein, dass alle geschlechtsneutral aufwachsen und sich irgendwann selber aussuche können, wie sie leben möchten. Vielleicht wird es irgendwann gar keine Lables mehr geben, wer weiß.
    Ich habe beschlossen mich outen wollen, um nicht mehr das Gefühl zu haben mich zu verstecken, um endlich den Druck jahrelang ein Geheimnis zu haben loszuwerden und auch um es weiter zu normalisieren. Entscheidet für euch selbst, ob ihr euch outen möchtet oder nicht. Wie gesagt, das ist meine Einstellung.

    Für alle, die sich weiter über das Thema informieren möchten folgen einige Webseiten-Empfehlungen. Darunter findet ihr unteranderem auch eine Anlaufstelle, an der ihr kostenlos und anonym (und ohne Anmeldung) um Rat fragen könnt, was LGBTQIA+ angeht.

    Ich möchte den Autoren der verlinkten Webseiten für ihre Arbeit danken, die mich sowohl in meiner Selbstfindung als auch im Schreibeprozess unterstützt hat, besonders an das Team von Queer Lexikon und dem zugehörigen Kummerkasten.
    Und des Weiteren natürlich auch an diesen Chat: https://www.testedich.de/rpgs-rollenspiele/chat/quiz66/1607891775/chat-fuer-alle-die-gerne-geschichten-schreiben
    Und ein bisschen auch an meine frühere Deutschlehrerin (wo bin ich im Leben angekommen, dass ich das sage? XD). Nein, mal ernsthaft, sie ist/war eine gute Lehrerin und sie hat uns beigebracht, wie man Schreibblockaden mit freiem Schreiben überwinden kann. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie das hier niemals lesen wird, aber wenigstens an euch: Schule kann sinnvoll sein, auch wenn sie es meistens nicht ist (jetzt will mich definitiv jeder killen lol).
    Und danke an euch alle Verrückten, die meine Geschichte lesen, bewerten und kommentieren! <3

    Zum Schluss möchte ich noch einmal kurz darüber schreiben, was für Schwierigkeiten ich sonst noch hatte, abgesehen von Schreibblockaden und fehlender Zeit.
    Gegen Ende zunehmend hatte ich Zweifel, ob die Geschichte überhaupt "gut genug" wäre. Würde das hier irgendjemand lesen? Ist es nicht langweilig, nur über den Alltag einer Person zu schreiben? Die Geschichte ist zu kurz für einen Roman und zu lang für eine Kurzgeschichte, was soll ich tun? Was, wenn die ganze Arbeit und Zeit unnötig waren und am Ende nur eine Verschwendung? Ist es überhaupt realistisch, den ganzen Prozess in drei Wochen zu quetschen? Soll ich größere Zeitsprünge einbauen, um mehr Zeit abzudecken? Oder alle Zeitsprünge irgendwie überbrücken, weil es sonst zerhackt wirkt? Falls die Länge okay ist - falls -, dann bin ich doch viel zu langsam, nach einem halben Jahr nicht fertig (es sind jetzt exakt 7 Monate und 1 Tag seit der Idee!)?
    Warum ich trotzdem weitergemacht habe: Ich habe es mir als Ziel gesetzt, diese Geschichte zu beenden und ich wollte mich nicht selbst enttäuschen. Selbst wenn sie grottenschlecht geworden wäre, hätte ich es trotzdem geschafft. Und irgendjemand da draußen wird sie mögen, egal was für einen Schrott ich schreibe (sorry Leute, falls ich Mist baue ziehe ich euch mit rein XD). Und ich habe gemerkt, dass die Geschichte gar nicht so kurz ist, wie gedacht, bei mir müssten es handschriftlich gut 50 Seiten sein, und das ist für meine Verhältnisse viel (für die Schule mussten wir in der 8. oder so mal eine Kurzgeschichte schreiben, die war bei mir fast zwei Seiten). Ich schreibe außerdem sehr klein - und hässlich.

    (ab hier kommt nix sinnvolles mehr)


    Was, du liest diesen Quatsch immer noch?
    Ich lese bei Geschichten nur das Nachwort, wenn sie echt gut waren oder ich sonst vor Langeweile sterbe, von daher sehe ich es als eine Art Kompliment an, dass du noch hier bist (vielleicht haust du jetzt auch ganz schnell ab, who knows XD).
    Eigentlich wollte ich noch was cooles oder nicht ganz so cooles hier hin packen, Funfacts über mich oder so, aber meine Kreativität ist am Ende. Darum enttäusche ich euch jetzt, indem es sich nicht gelohnt hat, bis hier hin zu lesen (sorry, I'm not sorry).
    Na gut, meinetwegen.
    Ich gehe im Moment in die Oberstufe, bin aber eher jung und habe Mathe und Bio als Leistungskurse. Ich hätte am liebsten Bio und Chemie gehabt, aber das ging leider nicht. In meiner Freizeit mache ich verschiedensten Kram, bin am Handy (obviously), schreibe, zeichne, gucke Filme (vor allem Marvel, aber die kenne ich schon, ansonsten alles ab 16 XD) oder gehe manchmal sogar klettern oder schlittschuhlaufen (hab mich gestern dabei ordentlich hingelegt und habe jetzt ein paar blaue Flecken & Schürfwunden). Joa. Was sonst noch? Wie ihr wohl langsam gemerkt habt, bin ich teilweise etwas selbstironisch und bin verrückt nach Klammern, Kommata und Textemojis - ich halte mich echt zurück. Ich habe in Arbeiten schon Punkte Abzug bekommen, weil ich zu viele Klammern benutzt habe.

    Ich höre dann mal auf, mit belanglosem Zeug, was nix mit dem Thema der Geschichte zu tun hat. Bye.

    22
    Webseiten

    Englisch
    ▪ https://lgbta.wikia.org/wiki/LGBTA_Wiki
    (LGBTQIA+ Labels)
    ▪ https://transgenderteensurvivalguide.com/flowchart
    (Informationen und Tipps für Transgender & Nonbinary People)

    Deutsch
    ▪ https://queer-lexikon.net/
    (anonymer Kummerkasten zu queeren Themen, einige Informationen)
    ▪ https://lgbt.wikia.org/de/wiki/Home
    (LGBTQ Labels, aber weniger als im Englischen)
    ▪ https://nibi.space/
    (Informationen zu Gendern, sexuellen Orientierungen und sehr viel mehr, auch Pronomen)

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